a) Eigenes Antragsrecht des Beschuldigten
In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage, ob dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ein eigenes Recht zusteht, die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen, umstritten (vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. 2015, Rn. 3051 m.w.N.; im Folgenden kurz: Burhoff, EV). Zu der Frage hat jetzt vor kurzem (noch einmal) die Ermittlungsrichterin des BGH (Beschl. v. 9.9.2015 – 3 BGs 134/15, NJW 2015, 3383 = StRR 2015, 458) Stellung genommen. Die Ermittlungsrichterin verneint kategorisch ein Antragsrecht des Beschuldigten auf Pflichtverteidigerbestellung gem. § 141 Abs. 3 S. 1–3 StPO. Eine solche setze einen Antrag der Staatsanwaltschaft zwingend voraus. Damit bezieht die Ermittlungsrichterin eine klare Position in der heftig umstrittenen Frage. Begründet wird das mit dem Wortlaut des § 141 Abs. 3 StPO und den Zuständigkeitsregelungen (abl. Barton StRR 2015, 459 in der Anm. zu BGH, a.a.O.) und dem Argument, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren "Herrin des Verfahrens" sei, sie zur Objektivität verpflichtet sei und werde daher schon ggf. einen Antrag stelle, da sie ggf. nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO tätig werden müsse.
Ob dieses Argument heute noch zutrifft, kann man m.E. bezweifeln, wenn man manche Verfahren sieht und auch hört, wie von der Staatsanwaltschaft agiert wird. M.E. stellt man den Beschuldigten durch die Verneinung eines eigenen Antragsrechts in der Phase des Ermittlungsverfahrens auch schutzlos in dem Fall, in dem die Staatsanwaltschaft nicht tätig wird, aber tätig werden müsste. Denn dieser hat, wenn sein Bestellungsantrag unzulässig wird, kein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft bzw. kann nicht (gerichtlich) überprüfen lassen, wenn diese nicht nach § 142 Abs. 3 S. 2 StPO tätig wird. So ausdrücklich die Ermittlungsrichterin im BGH-Beschluss vom 9.9.2015 (a.a.O.), indem sie insbesondere auch den Weg über § 98 Abs. 2 StPO verneint.
Hinweis:
Wie geht der Verteidiger mit der Entscheidung um? Nun, sie ist m.E. nicht der Weisheit letzter Schluss, da sie "nur" vom Ermittlungsrichter kommt. Jedenfalls ist aber die Diskussion wieder eröffnet und man darf gespannt sein, wie sich ggf. demnächst die Senate positionieren. Als Verteidiger muss man für den Mandanten ein Antragsrecht reklamieren und den Antrag stellen. Die Rechtsprechungsnachweise in der Entscheidung (vgl. u.a. LG Heilbronn Justiz 1979, 444; LG Erfurt StRR 2012, 266; LG Limburg StV 2013, 625 = StRR 2013, 106 m. Anm. Burhoff) zeigen, dass die Instanzgerichte das teilweise anders gesehen haben als der BGH (s.a. BGHSt 46, 93; BGH StV 2008, 58).
b) Rückwirkende Bestellung/Beiordnung
In der Praxis spielt die Frage der Zulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung eines Beistands bzw. der Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn das Verfahren rechtkräftig abgeschlossen ist, eine große Rolle. In der Frage, gehen die Obergerichte uni sono davon aus, dass das nicht möglich ist (vgl. die Zusammenstellung der Rspr. bei Burhoff, EV, Rn. 3043 ff. für den Pflichtverteidiger).
Begründet wird das i.d.R. so, wie es das OLG Celle (Beschl. v. 4.8.2015 – 2 Ws 111/15, StRR 2015, 461) vor kurzem noch einmal im Hinblick auf die nachträgliche Beiordnung eines Nebenklagebeistands getan hat. Da hatte die Rechtsanwältin zwar gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Beiordnung für die Nebenklägerin Beschwerde eingelegt, diese dann aber während des Verfahrens nicht mehr weiterverfolgt. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen – dies mit der in diesen Fällen üblichen Begründung: Eine nachträglich rückwirkende Beiordnung eines Nebenklägervertreters bzw. eine nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren sei grundsätzlich nicht zulässig (BGH StraFo 2011, 115; Senge in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 397a, Rn. 2 und 11 [im Folgenden kurz: KK-Bearbeiter]). Die Bestellung eines Beistands verfolge den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, dafür zu sorgen, dass ein Geschädigter in den vom Gesetz ausdrücklich bezeichneten Fällen (§ 397a Abs. 1 StPO) oder, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen könne oder ihm dies nicht zuzumuten sei (§ 397a Abs. 2 StPO), einen rechtskundigen Beistand erhalte, der die Interessen des Nebenklägers vertrete und einen auch in dessen Interesse liegenden Verfahrensablauf gewährleiste. Dieser Zweck könne nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr erreicht werden. Es gebe in diesem Zeitpunkt keine von dem Opferanwalt zu erbringende Tätigkeit mehr. Die Bestellung eines Beistands nach § 397a Abs. 1 StPO bzw. die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach § 397a Abs. 2 StPO erfolge mithin nicht im Kosteninteresse des Nebenklägers. Die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts würde ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Beistand für ein bereits abgeschlossenes Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu v...