In der Praxis spielt die Frage der Zulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung eines Beistands bzw. der Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn das Verfahren rechtkräftig abgeschlossen ist, eine große Rolle. In der Frage, gehen die Obergerichte uni sono davon aus, dass das nicht möglich ist (vgl. die Zusammenstellung der Rspr. bei Burhoff, EV, Rn. 3043 ff. für den Pflichtverteidiger).
Begründet wird das i.d.R. so, wie es das OLG Celle (Beschl. v. 4.8.2015 – 2 Ws 111/15, StRR 2015, 461) vor kurzem noch einmal im Hinblick auf die nachträgliche Beiordnung eines Nebenklagebeistands getan hat. Da hatte die Rechtsanwältin zwar gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Beiordnung für die Nebenklägerin Beschwerde eingelegt, diese dann aber während des Verfahrens nicht mehr weiterverfolgt. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen – dies mit der in diesen Fällen üblichen Begründung: Eine nachträglich rückwirkende Beiordnung eines Nebenklägervertreters bzw. eine nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren sei grundsätzlich nicht zulässig (BGH StraFo 2011, 115; Senge in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 397a, Rn. 2 und 11 [im Folgenden kurz: KK-Bearbeiter]). Die Bestellung eines Beistands verfolge den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, dafür zu sorgen, dass ein Geschädigter in den vom Gesetz ausdrücklich bezeichneten Fällen (§ 397a Abs. 1 StPO) oder, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen könne oder ihm dies nicht zuzumuten sei (§ 397a Abs. 2 StPO), einen rechtskundigen Beistand erhalte, der die Interessen des Nebenklägers vertrete und einen auch in dessen Interesse liegenden Verfahrensablauf gewährleiste. Dieser Zweck könne nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr erreicht werden. Es gebe in diesem Zeitpunkt keine von dem Opferanwalt zu erbringende Tätigkeit mehr. Die Bestellung eines Beistands nach § 397a Abs. 1 StPO bzw. die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach § 397a Abs. 2 StPO erfolge mithin nicht im Kosteninteresse des Nebenklägers. Die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts würde ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Beistand für ein bereits abgeschlossenes Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (§ 45 Abs. 3 RVG), nicht jedoch einen ordnungsgemäßen Rechtsbeistand des Nebenklägers für das Verfahren zu gewährleisten (u.a. KG StRR 2009, 362 [Ls.] m.w.N.).
Das OLG Celle (a.a.O.) hat allerdings nun auch die Tür für eine Ausnahme von diesem Grundsatz geöffnet, insoweit in Übereinstimmung mit der weitgehend einhelligen landgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 3046; unzutreffend a.A. LG Halle StRR 2015, 389 mit zutreffend abl. Anm. Barton). Es sieht eine nachträgliche Beiordnung/Bestellung dann als zulässig an, wenn der entscheidungsreife Antrag rechtzeitig gestellt, aber nicht rechtzeitig beschieden wurde (so auch LG Saarbrücken, Beschl. v. 14.10.2015 – 4 Qs 14/15).
Praxishinweis:
Allerdings muss der Rechtsanwalt an der Stelle schnell handeln und darauf achten, dass er die Tür, die sich für ihn dort öffnet, nicht selbst wieder zuschlägt, wenn er nämlich zu lange eine Nichtbescheidung seines Antrags/Rechtsmittels hinnimmt und so selbst dazu beiträgt, dass man es mit einem Fall der nachträglichen Beiordnung/Bestellung zu tun hat. Er muss also auf Antrags-/Rechtsmittelbescheidung drängen, um nicht selbst sein Rechtsmittel unzulässig zu machen (vgl. die Fallgestaltung bei OLG Celle und LG Saarbrücken, jeweils a.a.O.). Das hatte die Rechtsanwältin hier nicht getan.
Wird der Rechtsanwalt tätig, dürfte ihm das Argument "nachträglich wird nicht mehr beigeordnet/bestellt", nicht entgegengehalten werden dürfen. Das sehen aber leider noch nicht alle OLG so, z.B. das OLG Hamm (vgl. OLG Hamm StRR 2013, 103 m. Anm. Barton). In dem Zusammenhang verhalten sich die OLG m.E. z.T. widersprüchlich, wenn sie nämlich einerseits eine zeitnahe Entscheidung über einen Beiordnungs-/Bestellungsantrag anmahnen, andererseits aber keine nachteiligen Konsequenzen ziehen, wenn diese Mahnung überhört und – wie in manchen Fällen, insbesondere, wenn es um Einstellungen nach § 154 StPO geht, – die Instanzgerichte bewusst untätig bleiben, um so das Argument der Nachträglichkeit herbei zu führen.