Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falls. Eine Bestellung eines notwendigen Verteidigers kommt daher insbesondere in Betracht, wenn der Angeklagte unter Betreuung steht (LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26.6.2015 – 2 Qs 118/15; s.a. OLG Hamm NJW 2003, 3286).
Ist bei mehreren Angeklagten, die eine Tatbeteiligung jeweils bestreiten, zu besorgen, dass die Angeklagten sich in der Hauptverhandlung gegenseitig belasten könnten, gebietet der Grundsatz der "Waffengleichheit" grundsätzlich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn auch dem anderen Mitangeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist,§ 140 Abs. 2 StPO (LG Braunschweig, Beschl. v. 18.5.2015 – 3 Qs 51/15, StRR 2015, 242 [Ls.] = StV 2015, 543 [Ls.]; ähnlich für das JGG-Verfahren LG Köln StraFo 2015, 163; zur Bestellung in den Fällen der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung s. Burhoff, EV, Rn. 2901 ff.).
Liegt nicht der gesetzlich geregelte Fall einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenbeistands nach den §§ 397a, 406g Abs. 3, 4 StPO vor, sondern bedient sich der Nebenkläger auf eigene Kosten in der Hauptverhandlung des Beistands eines Rechtsanwalts, spricht keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung. Diesem ist demgemäß weder i.d.R. ein Pflichtverteidiger beizuordnen noch darf von der Bestellung eines Pflichtverteidigers gar nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden. Vielmehr ist ohne Bindung an eine Vermutung im Wege einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls zu untersuchen, ob erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung begründet sind (KG StV 2012, 714 = StRR 2012, 260; vgl. auch LG Braunschweig, Beschl. v. 4.11.2014 – 13 Qs 216/14, StRR 2014, 462 = StV 2015, 543 [Ls.]). Das gilt auch nach der Einfügung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO (KG, Beschl. v. 27.8.2015 – 4 Ws 81/15).
Kann die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gem. § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden, begründet das die Schwierigkeit der Sachlage (LG Köln StV 2015, 20; LG Leipzig, Beschl. v. 25.6.2013 – 8 Qs 22/13 [Insolvenzstrafverfahren]; LG Magdeburg, Beschl. v. 2.6.2015 – 25 Qs 828 Js 75909/13 [schwierige Beweiswürdigung]; LG Essen, Beschl. v. 2.9.2015 – 56 Qs 1/15 [Steuerstrafverfahren: zur Prüfung der die Tatvorwürfe, ist die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung von Geschäftsunterlagen erforderlich ist]; vgl. aber auch LG Frankfurt/M. StV 2015, 20).
Hat ein Angeklagter als Ausländer Verständigungsschwierigkeiten, so ist ihm wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung regelmäßig ein Verteidiger beizuordnen. Dies gilt zwar nicht ausnahmslos. Insbesondere hat dies jedoch dann zu gelten, wenn ein Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten von Gewicht aufweist, die unter Heranziehung eines Dolmetschers nicht ohne weiteres ausräumbar erscheinen (LG Freiburg, Beschl. v. 18.8.2015 – 8 Qs 7/15; LG Hannover, Beschl. v. 19.1.2015 – 70 Qs 2/15, Nds.Rpfl. 2015, 138).