Am 25.7.2015 ist das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" vom 17.7.2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin durch einen "vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht" in Kraft getreten (BGBl. I, S. 1332; vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2015, Rn. 691 ff.). Dazu liegt inzwischen die erste – soweit ersichtlich – obergerichtliche Entscheidung vor, nämlich der Beschluss des KG v. 16.9.2015 – (2) 121 Ss 141/15 (051/15). Allerdings: Der Beschluss behandelt keine materielle Verfahrensfrage der eigentlichen Änderungen i.S.d. § 329 StPO, sondern es geht um eine Übergangsproblematik. Das LG hatte am 7.7.2015 – also noch nach altem Recht – eine Berufung verworfen. Dagegen ist Revision eingelegt worden, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts durch die fehlerhafte Anwendung des § 329 StPO a.F. gerügt worden ist. Der Angeklagte hat geltend gemacht, das LG habe die Berufung trotz seines Ausbleibens nicht gem. § 329 Abs. 1 StPO a.F. verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es ihn in konventionskonformer Auslegung der genannten Vorschrift als durch seine Verteidigerin in zulässiger Weise vertreten ansehen müssen.
In dem Zusammenhang prüft das KG die Frage, ob für das Revisionsverfahren § 329 StPO in der alten oder aber in der ab 25.7.2015 geltenden Fassung zugrunde zu legen ist. Es entscheidet sich für § 329 StPO a.F. Der Nachprüfung sei die bis zum 24.7.2015 geltende Fassung des § 329 StPO zugrunde zu legen. Die Neufassung des § 329 Abs. 1 StPO durch das Gesetz vom 17.7.2015 sei erst am 25.7.2015 in Kraft getreten und finde auf den zu entscheidenden Fall keine Anwendung. Regelungen über eine Rückwirkung enthalte das Gesetz nicht. Nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts erfasse eine Änderung des Verfahrensrechts, soweit – wie hier – nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt sei, zwar auch bereits anhängige Verfahren (vgl. BVerfGE 87, 48; BGHSt 22, 321; 26, 288; OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.3.2007 – 3 Ws 240/07; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46; Meyer-Goßner/Schmitt, § 354a, Rn. 4). Dieser Grundsatz gelte nicht nur für Rechtsvorschriften, sondern auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen (vgl. BGHSt 22, 321, 325). Die Änderung erfasse das Verfahren aber in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der neuen Vorschrift befindet (vgl. BGH, a.a.O.). Für ein bereits beendetes prozessuales Geschehen gelte eine Verfahrensänderung nicht (vgl. BayObLGSt 1954, 92; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm NJW 1975, 701; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 354a Rn. 6; KK-Gericke, § 355 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 203).
Hinweis:
Der vom KG behandelte Fall stellt einen Sonderfall dar, in dem also altes Recht gilt. Ansonsten: Geht es jetzt um die Berufung in am 25.7.2015 bereits anhängiger Verfahren oder demnächst um ab dem 25.7.2015 eingelegte Berufungen gilt neues Recht.