In den vergangenen Jahren hat im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren die Frage der Akteneinsicht des Betroffenen/Verteidigers in die Bedienungsanleitung und/oder andere Messunterlagen eine große Rolle gespielt (vgl. dazu Cierniak zfs 2012, 664 ff.; Cierniak/Herb DAR 2014, 2; Burhoff VRR 2011, 250; ders., VA 2012, 50; ders., VRR 2012, 130; zur Rspr. Burhoff in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, Rn. 254 ff.; Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl. 2015, § 5 Rn. 244 ff.). Diese Frage ist inzwischen in den Hintergrund getreten. Gestritten wird derzeit vermehrt darum, ob der Betroffene/Verteidiger einen Anspruch auf die sog. Rohmessdaten hat und ihm diese und/oder Token/Passwort zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies wird – soweit ersichtlich – von den AG übereinstimmend bejaht.
Exemplarisch ist in dem Zusammenhang der Beschluss des AG Weißenfels zu nennen (Beschl. v. 3.9.2015 – 10 AR 1/15, zfs 2015, 592 = StRR 2015, 437; vgl. auch noch AG Kassel zfs 2015, 354; AG Trier, Beschl. v. 9.9.2015 – 35 OWi 640/15; AG Kempten, Beschl. v. 10.9.2015 – 24 OWi 220 Js 15207/15; AG Bergisch Gladbach, Beschl. v. 2.10.2015 – 48 OWi 35/15 [b]). Das hat die Bußgeldstelle verpflichtet, die sog. Rohmessdaten der Messserie, auf der das Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gegen den Betroffenen beruhte, in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen. Das begründet das AG mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs. Liege dem Bußgeldbescheid ein standardisiertes Messverfahren zugrunde, so obliege es dem Betroffenen, konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände zu einem Messfehler vorzutragen. Hierzu bedürfe es zunächst neben dem Einsichtsrecht in das Messprotokoll und den Eichschein des Messgeräts auch der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die erforderlichen Fotos, also z.B. beim Gerät ES 3.0 in das Messfoto und das sog. Fotolinienbild. Darüber hinaus müsse dem Betroffenen auf sein Verlangen hin aber auch die bei der Messung erstellte Messdatei zugänglich gemacht werden, um ihm – unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – die Möglichkeit zu geben, eventuelle Messfehler zu entdecken und im Verfahren substantiiert behaupten zu können. Würde man dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht unter Hinweis darauf versagen, dass die Daten vom Gerätehersteller verschlüsselt werden und nur durch diesen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden können, würde der Betroffene in seinen Verfahrensrechten unzulässig eingeschränkt. Der Betroffene könne diesbezüglich auch nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs und das anschließende gerichtliche Verfahren verwiesen werden. Eine Beweiserhebung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betroffene konkrete Umstände zu einem Messfehler vorträgt. Kenne er die Rohdaten nicht bzw. könne er diese nicht unverschlüsselt auslesen, so werde ihm diese Möglichkeit zumindest teilweise genommen. Ein Beweisantrag des Betroffenen wäre dann durch das Gericht als "ins Blaue hinein gestellt" möglicherweise abzulehnen.
Die Verwaltungsbehörde kann sich nach Auffassung der AG (s.o.) auch nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Wie durch das Urteil des OLG Naumburg vom 27.8.2014 (DAR 2015, 27) eindeutig festgestellt wurde, steht die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, der Behörde zu, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat. Es ist insoweit Sache der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen. Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Herstellerfirma des Messgerätes anzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen (OLG Naumburg, a.a.O.).
Hinweis:
Das AG Trier (a.a.O.) weist in dem Zusammenhang ausdrücklich auf die Entscheidung des OLG Oldenburg hin (DAR 2015, 406), wonach die Messdatei zwar nicht Aktenbestandteil sei, sie jedoch als Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung rechtzeitig vor der Hauptverhandlung einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen sei. Werden die Daten nicht zur Verfügung gestellt, muss der Verteidiger dagegen mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG vorgehen.
Ob er gegen eine gerichtliche Entscheidung mit der Beschwerde nach § 304 StPO vorgehen kann, ist nicht unbestritten, da die h.M. seit einiger Zeit insoweit auf § 305 S. 1 StPO verweist (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 372 m.w.N.). Das LG Neubrandenburg sieht eine Beschwerde allerdings zumindest dann als zulässig an, wenn dem Betroffenen ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht, oder, wenn zwar ...