1. Berufungsverfahren
a) Berufungsverwerfung/Vertretervollmacht
4.1.1.1 aa) Vertretungsvollmacht
Mit dem Beschluss des OLG Hamm vom 6.9.2016 (4 RVs 96/16, StRR 12/2016, S. 11 m. Anm. Lorenz), wird ein Strafverfahren abgeschlossen, in dem die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. In der Berufungshauptverhandlung war der Verteidiger des Angeklagten anwesend. In der Revision machte der Angeklagte geltend, der Verteidiger sei mit einer schriftlichen Vertretervollmacht versehen gewesen, so dass die Berufung nicht hätte verworfen werden dürfen. Die Revision scheitert an § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. In dem Zusammenhang macht das OLG Ausführungen zur "Vertretungsvollmacht", die Verteidiger vielleicht veranlassen sollten, die eigenen Vollmachten zu prüfen.
Das OLG geht davon aus, dass eine schriftliche Vertretervollmacht (vgl. zur Vollmacht Burhoff, EV, Rn 4226 ff. und Burhoff, HV, Rn 3350 ff.) für den in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger nicht vorgelegen hat. Der Angeklagte habe lediglich vorgetragen, dass sein Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung seine schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe. Er trage auch vor, dass diese Vollmacht von dem Angeklagten unterzeichnet gewesen sei. In der zitierten Vollmacht heiße es allerdings zum Vollmachtgeber lediglich: "Herr/Frau (Vorname und Name – nachfolgend Mandant)". Könne man – so das OLG – eventuell trotz der fehlenden Wiedergabe des Namens des Vollmachtgebers noch davon ausgehen, dass der Angeklagte die Vollmacht für sich selbst und nicht etwa seinerseits in Vertretung für einen Dritten erteilt habe, so fehlt es jedoch an der Angabe, dass sich die (Vertretungs-)Vollmacht, die auch in dem Vollmachtformular zur Verteidigerbeauftragung enthalten sein könne (vgl. BGH NJW 1956, 1727, 1728; zweifelnd OLG Hamm zfs 2014, 470), zumindest auch auf das vorliegende Verfahren bezogen habe. Insoweit heiße es in der Vollmacht lediglich: "Herr/Frau (Vorname und Name – nachfolgend Mandant) bevollmächtigt Herrn Rechtsanwalt S. (nachfolgend: "Auftragnehmer") mit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in der Angelegenheit gegen (...) wegen (Gegenstand)". Damit werde zwar deutlich, dass sich die Vollmacht auf eine bestimmte Angelegenheit beziehen sollte, offen bleibe aber, auf welche.
Hinweis:
Das OLG hat es offen gelassen, ob sich aus der Formulierung der Vertretungsregelung in der Vollmacht ggf. ergab, dass sie sich nicht auf die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung beziehe. Dort heißt es: "Die Vollmacht wird ferner erteilt zur Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen, und zwar auch für den Fall der Abwesenheit des Auftraggebers zur Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO (...)". Angesichts der klaren Regelung "Vertretung in allen Instanzen" hat das OLG den Einschub ("und zwar auch [ ... ]"), wohl eher nicht als Beschränkung auf diesen Fall, sondern als Verdeutlichung für diesen Fall verstanden. Schon die Formulierung "auch" deute nicht auf eine Einschränkung von "in allen Instanzen" hin. Diese Ausführungen sollten Anlass sein, die Vertretervollmachten klar und deutlich zu formulieren.
4.1.1.2 bb) Berufungsverwerfung
Der Beschluss des OLG Hamm vom 6.9.2016 (4 RVs 96/16, StRR 12/2016, S. 11 m. Anm. Lorenz) ist noch aus einem weiteren Grund von Bedeutung und zwar im Hinblick auf die Neuregelung des § 329 Abs. 1 StPO (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 691 ff.; Deutscher StRR 2015, 284). Das LG war der Auffassung, dass der mit einer (ordnungsgemäßen) schriftlichen Vertretungsvollmacht erschienene Verteidiger erklären müsse, dass er für den Angeklagten in dessen Abwesenheit verhandeln wolle. Das OLG sieht die Auffassung als nicht zutreffend an. Dazu verweist es auf die Gesetzgebungsmaterialien zu § 329 Abs. 1 StPO n.F. in der aktuellen Fassung, wo es heiße: "Im Hinblick auf den Verteidiger setzt ein ‚Erscheinen‘ im Rechtssinne weiterhin voraus, dass der mit Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger auch zur Vertretung bereit ist, mit anderen Worten also nicht von vornherein erklärt oder zu erkennen gibt, den Angeklagten nicht vertreten zu wollen" (BT-Drucks 18/3562, S. 69). Weiter ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber an den Sinngehalt des "Erscheinens" nach alter Rechtslage anknüpfen wollte. Nach der Rechtsprechung zur vergleichbaren Regelung in § 411 Abs. 2 S. 1 StPO sei es so, dass eine ausdrückliche Erklärung seiner Vertretungsbereitschaft durch den Verteidiger nicht erforderlich ist, sondern diese lediglich verneint wird, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er es überhaupt nicht zu einer Sachverhandlung habe kommen lassen wollen (OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2007 – Ss 42/07; OLG Celle NStZ-RR 2009, 352 [Ls.]). Auch dem Gesetzeswortlaut lasse sich für das Erfordernis einer ausdrücklichen Erklärung nichts entnehmen (a.A. OLG Jena, Beschl. v. 28.7.2016 – 1 Ss 42/16, BeckRS 2016, 17322 m. Anm. Oehmichen).
Hinweis:
Es ist also zwar grundsätzlich eine Bereitschaft des Verteidigers zur Vertretung des Angeklagten erforderlich. Diese kann nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte...