Bei dem Beschluss des OLG Hamburg vom 25.7.2017 (1 Rev 37/17, StraFo 2017, 371 = StRR 9/2017, 13) handelt es sich um die erste OLG-Entscheidung seit Inkrafttreten der Neuregelungen in § 329 StPO durch das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" vom 24.7.2015 (BGBl I, S. 1332; dazu eingehend Burhoff, HV, Rn 691 ff.), die zur Frage, ob der Verteidiger sich auch unter Geltung der Neuregelung selbst als Vertreter bestellen/bevollmächtigen kann, Stellung nimmt. Das OLG verneint das unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 18/3562, S. 68 (zweifelnd auch schon Burhoff, HV, Rn 707c).
Nach dem Sachverhalt des OLG-Beschlusses war die Angeklagte vom AG verurteilt worden. Auf ihre hiergegen geführte Berufung hat das LG Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Im Hauptverhandlungstermin erschien die ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht. Ihr anwesender Verteidiger, dem zuvor eine allgemeine Strafprozessvollmacht schriftlich erteilt worden war, teilte mit, dass er von der Angeklagten auch zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung bevollmächtigt worden sei. Zu einer schriftlichen Bevollmächtigung durch die Angeklagte persönlich sei es nicht gekommen. Nachdem das LG Zweifel an der Wirksamkeit und Reichweite der Bevollmächtigung geäußert hatte, erstellte der Verteidiger eine handschriftliche "Vertretungsvollmacht" für die Berufungshauptverhandlung, die er sogleich selbst "i.V." unterzeichnete. Das LG hat die Berufung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen. Die dagegen gerichtete Revision der Angeklagten hatte keinen Erfolg.
Nach Auffassung des OLG Hamburg (a.a.O.), ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass die Angeklagte nicht wirksam von ihrem allein anwesenden Verteidiger vertreten wurde. Zu Recht habe es deshalb die Berufung der Angeklagten nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen. Im Berufungsrechtszug setze die Vertretung des abwesenden Angeklagten nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zuvor schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt. Die formlose Erteilung einer Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten und deren anschließende Verschriftlichung durch den Verteidiger genügten nicht (so schon Mosbacher NStZ 2013, 312, 314 f.; LR-Becker, StPO, a.a.O., § 234 Rn 8 sowie die Kommentierungen im Anschluss an die "Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" BT-Drucks 18/3562: MüKo-StPO/Arnoldi, Bd. 2, 2016, § 234 Rn 7; SK-StPO/Deiters, 5. Aufl. 2016, § 234 Rn 4). Hierfür streite schon die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 329 StPO (BT-Drucks 18/3562, S. 68), die eine aufgrund einer mündlichen Ermächtigung durch den Angeklagten vom Verteidiger selbst unterzeichnete Vollmacht ausdrücklich für nicht ausreichend erachtet. Die Gegenansicht (BayObLG NStZ 2002, 277 f.; OLG Dresden VRR 2012, 390 = StRR 2013, 26; BeckOK-StPO/Graf, 27. Ed., § 234 Rn 6; Grube, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2015, § 234 Rn 6; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 234 Rn 5) werde dem Schutzzweck der Norm nicht hinreichend gerecht. Dieser verlange, dass sich der Angeklagte, nicht sein Verteidiger, schriftlich zur Vollmachtsfrage erklären muss. Nur dadurch werde dem Angeklagten die besondere Bedeutung seiner Bevollmächtigung bewusst (Mosbacher a.a.O.). Zudem dokumentiere der Betroffene damit selbst zuverlässig, dass er wesentliche Verfahrensrechte aus der Hand gibt. Den Bevollmächtigten sich selbst schriftlich zur Bevollmächtigung erklären zu lassen, würde den Schutz des Angeklagten vor Übereilung durch mündliche Erklärung vereiteln und den besonderen Dokumentationswert der schriftlichen Bevollmächtigung ganz wesentlich herabsetzen (Mosbacher a.a.O.).
Hinweise:
- Im Hinblick auf diese Entscheidung kann nur noch dringend davon abgeraten werden, ggf. ohne ausdrückliche, vom Mandanten selbst unterzeichnete Vertretervollmacht in die Berufungshauptverhandlung zu gehen, wenn der Mandanten dort wirksam vertreten werden soll.
- Das OLG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es einer Vorlage an den BGH nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG nicht bedurfte. Denn durch die Gesetzesänderung in § 329 StPO entfällt die Vorlagepflicht mit Hinblick auf die entgegenstehenden obergerichtlichen Entscheidungen.