Der schon etwas ältere Beschluss des OLG Oldenburg vom 20.12.2016 (1 Ss 178/16, StRR 9/2017, 14) befasst sich ebenfalls mit der Problematik der Berufungsverwerfung nach § 329 StPO. Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung vor dem LG nicht erschienen, wohl hingegen als sein Verteidiger Rechtsanwalt R1. Diesem sowie Rechtsanwalt R2 hatte der Angeklagte eine von ihm unterzeichnete "Vollmacht und Prozessvollmacht" erteilt, die zur Akte gelangt war. Diese Vollmacht hat u.a. folgenden Wortlaut:
Zitat
Den Rechtsanwälten (...), (...) wird Prozessvollmacht gem. §§ 81 ff. ZPO und §§ 302, 374 StPO erteilt wegen S. L. (...) – Strafverfahren Amtsgericht ppp. Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf:
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Verteidigung und Vertretung in Bußgeldsachen sowie Strafsachen in allen Instanzen, auch als Nebenkläger, Vertretung gem. § 411 Abs. 1 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung gem. § 233 Abs. 1 StPO. |
Das LG hat die Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO verworfen, weil der Angeklagte ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Die Revision des Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg.
Das OLG Oldenburg (a.a.O.) hat zunächst zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge Stellung genommen und ausgeführt, dass diese den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO entspreche. Das OLG folgt insoweit nicht der Ansicht des OLG Jena (StraFo 2016, 416), wonach mit der Verfahrensrüge zu der Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO auch vorgetragen werden müsse, der Verteidiger habe von seiner schriftlichen Vertretungsvollmacht auch Gebrauch machen wollen, er sei also – über die bloße Verteidigung des Angeklagten hinaus – auch zu dessen umfassender Vertretung bereit gewesen. Denn einer ausdrücklichen Erklärung des Verteidigers, er sei zur Vertretung des Angeklagten bereit, bedürfe es nicht. Vielmehr sei hiervon bei einem Erscheinen des Verteidigers grundsätzlich auszugehen, solange dieser nicht von vornherein erkläre oder zu erkennen gebe, den Angeklagten nicht vertreten zu wollen (vgl. BT-Drucks 18/3562, S. 69). Es sei somit zwar grundsätzlich die Bereitschaft des Verteidigers zur Vertretung des Angeklagten erforderlich. Diese könne aber nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür verneint werden, dass es der Verteidiger überhaupt nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen wolle (vgl. OLG Hamm StRR 12/2016, 11). Dieses wäre etwa dann der Fall, wenn der Verteidiger trotz ausdrücklichen Befragens durch das Gericht keine Erklärung dazu abgebe, ob er den nicht anwesenden Angeklagten vertreten wolle.
Nach Auffassung des OLG Oldenburg (a.a.O.) ist die Berufung des Angeklagten auch zu Unrecht verworfen worden. Denn der Angeklagte sei in dem (ersten) Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht i.S.d. § 329 Abs. 1 StPO vertreten gewesen. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Vollmacht sei dem Verteidiger Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung erteilt. Damit sei in der Vollmacht berücksichtigt, dass der Verteidiger als solcher nur der Beistand (§ 137 StPO) und nicht der Vertreter des Beschuldigten sei und es deshalb einer ausdrücklichen Bevollmächtigung zur Vertretung bedürfe, weil der Beschuldigte dadurch wichtige Verfahrensrechte in die Hände seines Verteidigers lege, der an seine Stelle trete und mit Wirkung für ihn Erklärungen abgeben könne. Diese ausdrückliche Ermächtigung reiche aber auch aus. Durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten "in dessen Abwesenheit" würde der dem Erfordernis der gesonderten Bevollmächtigung zugrunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. bereits OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.3.2016 – 1 Ss 36/16 – m. Hinw. auf BGHSt 9, 356 und OLG Düsseldorf VRS 81, 292, jeweils zu § 411 Abs. 2 S. 1 StPO sowie Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 234 Rn 5).
Hinweise:
- Die Auffassung des OLG Oldenburg (a.a.O.) zur Fassung der Vollmacht ist zutreffend. Insoweit ist es also ausreichend, wenn dort formuliert ist "(...) zur Vertretung (...)", denn das impliziert, dass der Angeklagte nicht anwesend ist.
- Wie immer in solchen Fällen muss man allerdings auch dazu raten, dass Verteidiger darauf achten, dass die Punkte, die das OLG Oldenburg (a.a.O.) angesprochen hat, gar nicht erst streitig werden. Das bedeutet also, dass man zum "Vertreten-Wollen" in der Hauptverhandlung vortragen und die Vertretervollmacht um den Zusatz: "(...) in dessen Abwesenheit" ergänzen sollte. Dann kann nichts schiefgehen.