a) Maßstab der außerordentlichen Arbeitnehmerkündigung
Auch die vom Arbeitnehmer ausgesprochene außerordentliche Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Es gelten dieselben Maßstäbe wie für die Kündigung des Arbeitgebers (vgl. BAG, Urt. v. 22.3.2018 – 8 AZR 190/17, NZA 2018, 1191). Der Umstand, dass der Arbeitnehmer infolge einer Erkrankung für unabsehbare Zeit nicht in der Lage ist, seine vertraglich übernommene Arbeit zu verrichten, kann geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Beiden Vertragsparteien kann in einem solchen Fall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sein. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind jeweils gehalten, darauf hinzuwirken, das Arbeitsverhältnis nach Möglichkeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in einer für beide Teile zumutbaren Weise aufrechtzuerhalten.
Vor dem BAG war allein noch die Widerklage auf Zahlung einer Vertragsstrafe i.H.v. 680 EUR Streitgegenstand. Der Klage auf Urlausabgeltung war rechtskräftig stattgegeben. Die Klägerin war bei der beklagten Arbeitgeberin als hauswirtschaftliche Helferin seit 1999 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war anlässlich zweier Abmahnungen und des Begehrens auf Entfernung konfliktbelastet. Eine einvernehmliche Vertragsauflösung auf den von der Klägerin angestrebten Termin des 6.4.2018 scheiterte, weil die Klägerin die von der Beklagten verlangte Abgeltungsklausel nicht akzeptierte. Kurze Zeit später ging der Beklagten am 2.4.2015 eine klägerseitig ausgesprochene außerordentliche Kündigung zum 6.4.2015 zu. Am 7.4.2015 trat die Klägerin eine anderweitige Arbeitsstelle an. Die Widerklage ist auf die vertragswidrige Beendigung gestützt, weil der Klägerin kein wichtiger Grund, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, zur Seite stehe.
Alle drei Instanzen wiesen den Anspruch der Beklagten auf Zahlung der begehrten Vertragsstrafe ab. Das BAG lässt dahinstehen, ob die im Arbeitsvertrag getroffene Vertragsstrafenregelung einer AGB-Kontrolle standhielt. Die Vertragsstrafe sei nicht verwirkt, weil das Arbeitsverhältnis nicht in einer vertragswidrigen Art und Weise beendet worden sei. Der Klägerin sei ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zuzusprechen. Zum einen habe die Erkrankung ihre Ursache in einem Arbeitsplatzkonflikt gehabt. Zum anderen sei die Klägerin bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses für unabsehbare Zeit nicht in der Lage gewesen, die vertraglich geschuldete Arbeit zu verrichten. Zum Kündigungszeitpunkt habe die Gefahr bestanden, dass sich der Gesundheitszustand der arbeitsunfähigen Klägerin bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses weiter verschlechtern würde. Die Vernehmung der behandelnden Ärztin als Zeugin habe die Befürchtung gerechtfertigt, dass bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses die Gefahr einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin bis hin zu einem "Abrutschen" in die Psychiatrie bestanden habe.
Bei der Unzumutbarkeitsprüfung auf der zweiten Stufe – nach Bejahung eines wichtigen Grundes "an sich" – sind die beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien gegeneinander abzuwägen. Die Wertung des LAG Stuttgart (Urt. v. 9.12.2016 – 12 Sa 16/16) war nicht zu beanstanden: Die Klägerin konnte ihre Genesung nur durch die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses beschleunigen. Ihr war es vor diesem Hintergrund nicht zumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Gleiches gilt für die Annahme, die Beklagte habe nur ein geringes Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist haben können, sie habe vielmehr aus Gründen der Planungssicherheit eher an einer frühzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses interessiert sein müssen. Auch habe die Klägerin erfolglos versucht, mit dem Betriebsleiter der Beklagten über die ausgesprochenen Abmahnungen zu sprechen. Eine Verpflichtung zur Ankündigung, andernfalls das Arbeitsverhältnis kündigen zu müssen, bestand nicht. Letzteres hätte den Konflikt nur verstärkt. Schlussendlich war die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Der Dauertatbestand – Erkrankung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – war noch gegeben.
Hinweis:
- Das BAG lässt dahinstehen, was offensichtlich ist. Die Vertragsstrafe mit der Monatsfrist ist bei einer Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende des Monats überschießend und daher AGB-rechtlich unwirksam.
- Der Achte Senat des BAG setzt seine bisherige Rechtsprechung anhand des Einzelfalls fort: Ist der Arbeitnehmer infolge einer Erkrankung für unabsehbare Zeit nicht in der Lage, seine vertraglich übernommene Arbeit zu verrichten, ist dies auf der ersten Stufe geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Grundsätzlich ist die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar. So muss ein Arbeitnehmer, der auf Dauer nur halbtags leichte Büroarbeit verrichten kann, dem Arbeitgeber Gelegenheit geben, ihn nach Maßgabe seiner verbliebenen Arbeitskraft wei...