1. Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage
Mit Urteil vom 25.4.2018 (2 AZR 493/17, NZA 2018, 1147) hat das BAG erstmalig zur nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage bei nicht nur vorübergehender Abwesenheit des Arbeitnehmers entschieden und dabei erhöhte Sorgfaltsanforderungen an die Postkontrolle gestellt.
Die Parteien streiten über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. Der Kläger war bei der beklagten Klinikbetreiberin seit Februar 2010 als Chefarzt beschäftigt. Im Jahr 2013 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Postzustellungsvollmacht den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu veranlassen, dass alle für den Kläger bestimmten Schreiben ausschließlich an ihn zugestellt werden. Zuvor waren Erklärungen übergeben oder per Post an die Wohnanschrift gesandt worden. Im Dezember 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien und stellte die entsprechenden Schreiben an die Wohnanschrift des Klägers in A zu. Ihr Prozessbevollmächtigter unterrichtete parallel den Prozessbevollmächtigten des Klägers über die Kündigungen.
In der Folgezeit nahm der Kläger eine Beschäftigung als Arzt in Katar auf. Sein Wohnhaus in A vermietete er. Mit Schreiben vom 31.5.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.6.2017. Das Schreiben wurde am 7.6.2016 um 14:50 Uhr durch einen Botendienst in den mit dem Namen des Klägers versehenen Briefkasten an seinem Haus in A eingeworfen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der Kündigung. Den Prozessbevollmächtigten des Klägers informierte die Beklagte nicht über diese Kündigung.
Der Kläger erlangte tatsächliche Kenntnis von dem Kündigungsschreiben erst am 1.7.2016, als er für einige Tage nach Deutschland zurückkehrt war. Mit einem am 5.7.2016 beim ArbG eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und vorsorglich beantragt, sie als Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.
Nach Auffassung des BAG hat der Kläger – nach einem objektiven wie subjektiven Maßstab – die ihm nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet. Er hat keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um eine zeitnahe Kenntnisnahme von in seinen Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken sicherzustellen. Er war nicht nur vorübergehend – wie im Falle einer urlaubsbedingten Abwesenheit von bis zu sechs Wochen – von einer ansonsten ständig von ihm benutzten Wohnung abwesend. Er hielt sich vielmehr umgekehrt aufgrund einer in Katar aufgenommenen Beschäftigung nur noch gelegentlich in A auf, vor der Kündigung nach seinem eigenen Vorbringen zuletzt vom 28.1. bis 1.2.2016 und damit im Zeitpunkt ihres Zugangs bereits seit mehr als vier Monaten nicht mehr. Da er dennoch weiterhin einen Briefkasten mit seinem Namen dort vorhielt, hätte er – anders als bei bloß vorübergehender urlaubsbedingter Abwesenheit, bei der ein solcher Aufwand nicht zumutbar erschiene – dafür Sorge tragen müssen, dass er zeitnah von für ihn bestimmten Sendungen Kenntnis erlangte. Ist nämlich, wie z.B. hier aus beruflichen Gründen, die Abwesenheit von der "ständigen" Wohnung die Regel, muss der Adressat besondere Vorkehrungen treffen, damit er normalerweise rechtzeitig Kenntnis von Zustellungen erlangt.
Dem ist der Kläger nicht ausreichend nachgekommen. Er hätte in Anbetracht seiner nur noch gelegentlichen Anwesenheit in A eine Person seines Vertrauens damit beauftragen müssen, die für ihn bestimmte Post regelmäßig zu öffnen und ihn oder einen zur Wahrnehmung seiner Rechte beauftragten Dritten zeitnah über ihren Inhalt zu informieren oder sie an einen zu ihrer Öffnung und zur Wahrung seiner Rechte bevollmächtigten Dritten weiterleiten zu lassen.
Hinweise:
- Bei einer Abwesenheit ist zu unterscheiden: Ist diese nur vorübergehend – wie gewöhnlich bei der Erfüllung der Urlaubsansprüche – so sind keine erhöhten Sorgfaltsanforderungen zu stellen (zu dieser Fallgestaltung vgl. BVerfG, Urt. v. 18.10.2012 – 2 BvR 2776/10 Rn 17 zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl; BVerfG, Urt. v. 11.2.1976 – 2 BvR 849/75, BVerfGE 41, 332 zur Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Bußgeldbescheid).
- Bei einer dauerhaften Abwesenheit – wie vorliegend – wg. einer Auslandstätigkeit (vgl. BPatG, Urt. v. 22.11.1999 – 5 W (pat) 6/99), bedarf es einer Organisation dergestalt, dass vertragsrelevante Schreiben dem Abwesenden zugehen.
- Das BAG geht zunächst anhand des Wortlauts und des Zwecks der Norm (§ 5 KSchG) von einem objektiven abstrakten Sorgfaltsmaßstab aus (BAG a.a.O. Rn 21; Urt. v. 24.11.2011 – 2 AZR 614/10 Rn 16).
- Dann berücksichtigt das BAG subjektive Umstände, die in der konkreten Situation den Schutz des Arbeitnehmers auch in Anbetracht der Interessen des Arbeitgebers geboten erscheinen lassen, weil die prozessuale und materiell-rechtliche Frist der §§ 4, 7 KSchG einerseits den Zugang zu Gericht nicht ungebührlich erschweren und andererseits das Interesse des Arbeitgebers an einer alsbaldigen...