Vor dem Hintergrund der Grundrechte auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) wurde insb. seit dem Regelleistungsurteil des BVerfG (Urt. v. 9.2.2010 –1 BvL 1/09 u.a., s. hierzu Sartorius, ZAP F. 18, S. 1119) die Vereinbarkeit des Regelungskomplexes mit der Verfassung bestritten (Nachweise bei Berlit in Ders./Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Aufl., Kap. 23 Rn 11 m.w.N.); s. ferner Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. § 31a Rn 34), insb. wegen der Möglichkeit des vollständigen Entfallens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nach § 31a Abs. 1 S. 3 SGB II (keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften sieht jedoch z.B. das LSG NRW, Beschl. v. 30.8.2018 – L 7 AS 1098/18 B ER) und wegen der härteren Sanktionierung der unter 25-jährigen nach § 31a Abs. 2 SGB II (insoweit bestehen zusätzliche Bedenken wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG; zum Meinungsstand s. etwa Berlit in Münder, SGB II, 6. Aufl. § 31a Rn 3 ff.). Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 29.4.2015 entschieden (B 14 AS 19/14 R, hierzu Schweigler, info also 2018, 205), dass gegen eine Minderung des Alg II-Anspruchs i.H.v. 30 % des maßgebenden Regelbedarfs wegen einer Pflichtverletzung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
Der Deutsche Verein hat schon vor Jahren bisher nicht umgesetzte rechtspolitische Empfehlungen zur Reform der Sanktionen vorgelegt (NDV 2013, 289). Diese zeigten nicht nur den gesetzlichen Änderungsbedarf auf. Sie widmeten sich ebenfalls der Verwaltungspraxis und wiesen u.a. darauf hin, dass ein notwendiges individuelles Fördern und Fordern und die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Pflichtverletzungen nur möglich sind, wenn eine ganzheitliche Betreuung – die eine entsprechende günstige Betreuungsrelation erfordert – durch die Integrationsfachkräfte gewährleistet ist. Wenn individuelle Probleme (psychosozialer Art, Lebenskrisen, häusliche Gewalt, Suchtproblematiken u.Ä.) Auslöser für Pflichtverletzungen sind, müsse entsprechend unterstützend interveniert werden, Sanktionen seien dann kein Mittel zur Verhaltenssteuerung.
In die gleiche Richtung gehen etwa die sozialpolitischen Reformvorschläge des Deutschen Caritasverbands vom 28.2.2017.
Bereits in der Entscheidung vom 6.5.2016 (BVerfG, Beschl. v. 6.5.2016 – 1 BvL 7/15, NZS 2016, 578 ff.) hat das BVerfG eine entsprechende Vorlage des SG Gotha zwar für unzulässig erklärt, da sie nicht den Darlegungsforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 1 BVerfGG genügte, es schätzte die mit der Vorlage aufgeworfenen Rechtsfragen jedoch als verfassungsrechtlich gewichtig ein.
Nunmehr hatte sich das BVerfG mit einem erneuten Vorlagebeschluss des SG Gotha, das die Sanktionsnormen für verfassungswidrig ansieht (v. 2.8.2016 – S 15 AS 5157/14), zu befassen.
Gegen den (über 25-jährigen) Kläger dieses sozialgerichtlichen Ausgangsverfahrens verhängte das Jobcenter zunächst als Sanktionen eine Minderung des maßgeblichen Regelbedarfs i.H.v. 30 %, da er als ausgebildeter Lagerist gegenüber einem ihm durch das Jobcenter vermittelten Arbeitgeber geäußert hatte, kein Interesse an der angebotenen Tätigkeit zu haben, sondern sich für den Verkaufsbereich bewerben zu wollen. Nachdem der Kläger einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein (§ 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 45 SGB III) für eine praktische Erprobung im Verkaufsbereich nicht eingelöst hatte, minderte das Jobcenter den Regelbedarf um 60 %. Nach erfolglosem Widerspruch erfolgte Klage zum Sozialgericht.