Die Corona-Pandemie beschäftigt nicht nur die Verwaltungsgerichte, sondern zunehmend auch die Zivilgerichte. Insbesondere die Staatsanwaltschaften klagen über eine Welle an zusätzlichen Verfahren. Corona habe den Ermittlern seit Beginn der Krise etwa 20.000 zusätzliche Verfahren beschert, berichtete im November der Deutsche Richterbund (DRB), der auch die Interessen von Staatsanwälten vertritt. Es gehe v.a. um erschlichene Corona-Soforthilfen, daneben auch um Internet-Fakeshops, gefälschte Corona-Medikamente und minderwertige Schutzmasken. Und dies seien nur die Verfahren mit Bezug auf die Geschehnisse während des ersten Lockdowns im Frühjahr; allein sie würden die Ermittlungsbehörden noch bis weit ins nächste Jahr beschäftigen. Ob aus den sog. Novemberhilfen zur Abfederung des aktuellen Teil-Lockdowns strafrechtlich ebenfalls ein Nachlauf entstehe, bleibe abzuwarten, erläuterte der Bundesgeschäftsführer des DRB, Sven Rebehn, gegenüber der Presse.
Nordrhein-Westfalen stehe bei den corona-spezifischen Ermittlungsverfahren an der Spitze, so Rebehn; allein hier seien rund 7.500 Ermittlungen eingeleitet worden. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Berlin (4.500) und Bayern (2.200). Dabei hält der Richterbund die Strafjustiz schon jetzt für heillos überlastet. So habe die Zahl der nach Ermessen eingestellten Verfahren im Zehn-Jahres-Vergleich zuletzt erheblich zugenommen, meldete der DRB kürzlich in einer Pressemitteilung. Das betreffe Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft zwar einen hinreichenden Tatverdacht sehe, das Verfahren gegen den Beschuldigten aber zum Beispiel wegen Geringfügigkeit oder als unwesentliche Nebentat einstelle.
Zudem müssten die Strafgerichte immer wieder Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen, weil deren Verfahren zu lange gedauert haben. Mindestens 69 dieser Fälle hätten die Landesjustizverwaltungen für das Jahr 2019 gemeldet, nachdem es im Jahr zuvor 65 und im Jahr 2017 noch 51 Fälle gewesen seien. Insgesamt seien in den zurückliegenden fünf Jahren nach den Auskünften der Landesjustizverwaltungen mehr als 250 Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil ihre Strafverfahren nicht schnell genug vorangetrieben werden konnten.
Ausgerechnet in dieser Situation – so beklagt der DRB – bringe die Bundesregierung weitere personalintensive Gesetzesvorhaben auf den Weg: Mit den Strafverschärfungen gegen Hass und Hetze im Netz, gegen Unternehmenskriminalität, gegen Geldwäsche und gegen Kindesmissbrauch habe die große Koalition im laufenden Jahr Gesetzentwürfe vorgelegt, für die es hunderte zusätzliche Richter und Staatsanwälte in den Bundesländern bräuchte. Deshalb müsse unbedingt beim Justizpersonal „nachgelegt” werden, fordert der DRB. Zudem wünscht er sich, ähnlich wie beim sog. Digitalpakt für die Schulen, eine Unterstützung für die IT-Ausstattung der Gerichte. Hier habe die Corona-Pandemie einen erheblichen Nachholbedarf offengelegt.
[Quelle: DRB]