Für das Verfahren nach dem SGB II gilt grds. das SGB X (§ 40 Abs. 1 S. 1). Hier gilt – soweit keine besonderen abweichenden Rechtsvorschriften bestehen – der Grundsatz der Nichtförmlichkeit (§ 9 SGB X). Alg II kann grds. auch mittels E-Mail beantragt werden, wenn Jobcenter für einen Zugang die Kommunikation durch E-Mail eröffnet haben; zugegangen ist die E-Mail in diesem Fall bereits dann – mit der Rückwirkung nach § 37 Abs. 2 S. 2 –, wenn sie in den Macht- oder Willensbereich der Behörde gelangt, wobei auf übliche Dienstzeiten nicht abzustellen ist (BSG, Urt. v. 11.7.2019 – B 14 AS 51/18 R, Rn 16 und 18).
Abweichungen bzw. Ergänzungen zu Verfahrensnormen des SGB X ergeben sich etwa hinsichtlich der Vorschriften zur Sachverhaltsermittlung (§§ 57 ff.), zu den Mitwirkungspflichten (§§ 56, 59, 61) oder zur vorläufigen Entscheidung (§ 41a). Für Leistungsberechtigte gegenüber allgemeinen Verfahrensvorschriften nachteilige Abweichungen folgen aus § 40. Zum Teil verweisen Regelungen auf Bestimmungen des SGB III (Abs. 2) bzw. sind an solche angelehnt (Abs. 3), z.T. erfolgen Modifizierungen von Vorschriften des SGB X, so in Abs. 1 S. 2 hinsichtlich der Norm des § 44 SGB X: Diese im Sozialrecht für die Leistungsberechtigten und ihre Vertreter wichtige Norm räumt im Rahmen ihrer Ausprägung der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit Vorrang gegenüber der Bindungswirkung von belastenden Bescheiden (§ 77 SGG) bzw. von rechtkräftigen gerichtlichen Entscheidungen ein.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass (anfänglich) bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und insoweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (für Verwaltungsakte, die nicht für Grund/Höhe einer Sozialleistung oder einer Beitragsforderung erheblich waren, gilt § 44 Abs. 2 SGB X). In diesem Fall werden nach § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, i.Ü. – z.B. bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden – gibt es grds. keine zeitliche Begrenzung.
§ 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 beschränkt nun die Überprüfbarkeit von Bescheiden nach § 44 Abs. 1 u. 2 SGB X generell auf vier Jahre und ordnet in § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 eine Nachzahlung nur noch für ein Jahr rückwirkend an.
Problematisch sind diese Abweichungen (s. auch die in Abs. 7 vorgenommene für die Berechtigten nachteilige Modifizierung von § 28 SGB X) nicht nur vor dem Hintergrund, dass Verfahrensrecht der Verwirklichung des materiellen Rechts dient und hier dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Zumindest in der Vergangenheit war im Rechtsgebiet des SGB II eine „häufig erschreckende Qualität der Fallbearbeitung” v.a. bedingt durch „unzulänglich qualifiziertes Personal” festzustellen, wobei sich bei den Betroffenen durch das „über lange Zeit praktizierte fehlerhafte Verwaltungshandeln... ein signifikanter Vertrauensverlust eingestellt” hat (s. Udsching, Praktische Probleme mit Hartz IV, Dt. Sozialrechtsverband, Mitteilungsblatt 34/11, 3).
Mit diesen Gegebenheiten ist es schwerlich vereinbar, der Leistungsverwaltung im SGB II größere „rechtliche Freiräume” zu gewähren als Behörden auf anderen Gebieten des Sozialrechts.