Durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019” (BGBl I, S. 2121) ist auch § 244 StPO geändert worden (wegen der Einzelh. Burhoff ZAP F 22, S. 1009, 1018 ff.). In dem Zusammenhang ist der § 244 Abs. 6 S. 2 StPO eingefügt worden. Stichwort: Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppung. Das OLG Oldenburg (Beschl. v. 6.7.2020 – 1 Ss 90/20) hat sich als – soweit ersichtlich – erstes Gericht mit der Neuregelung befasst. Zugrunde liegt der Entscheidung ein alltäglicher Sachverhalt: Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen einer Auseinandersetzung zweier verfeindeter Familien verurteilt. Er hat bestritten, den Geschädigten geschlagen zu haben. Der Schlag wird aber von einem Polizeibeamten, der mit einer Kollegin zu der Schlägerei hinzu gerufenen worden ist, bekundet. Der Verteidiger stellt dann im Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Kollegin. Den lehnt das LG (erst) im Urteil wegen Prozessverschleppung ab.
Die dagegen gerichtete Revision hatte beim OLG Oldenburg (a.a.O.) Erfolg: Die Vorgehensweise des LG war nach Auffassung des OLG bereits deshalb unzulässig, weil eine Ablehnung des Beweisantrags erst im Urteil unzulässig gewesen sei. Bis zur Änderung des § 244 Abs. 6 S. 2 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019” (BGBl I, S. 2121) sei es einhellige Meinung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen, dass ein Hilfsbeweisantrag nicht erst im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden konnte (vgl. schon BGHSt 22, 124; sowie u.a. BGH NStZ-RR 1998, 14). Durch die in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO nunmehr gegebene Möglichkeit, einen Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht nicht durch Beschluss des Gerichts, sondern durch den Vorsitzenden zurückzuweisen, habe sich hieran nichts geändert. Denn die Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht beinhalte auch nach neuer Rechtslage einen Missbrauchsvorwurf, zu dem Antragstellern aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Verhinderung von Überraschungsentscheidungen rechtliches Gehör zu gewähren ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn 90b). Hinzu komme, dass nur so dem Antragsteller die – angesichts der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit umso bedeutsamere – Möglichkeit eröffnet werde, eine Entscheidung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen.
Hinweis:
Fraglich ist, ob es auf die Frage der Prozessverschleppung, die das OLG zutreffend entschieden hat, überhaupt ankam. Oder anders gefragt: Hätte das OLG nicht etwas dazu sagen müssen, dass es sich bei dem Antrag überhaupt um einen „Beweisantrag” i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO gehandelt hat, woran das LG in seinem Ablehnungsbeschluss Zweifel geäußert hatte. Denn nur, wenn es sich um einen „Beweisantrag” i.e.S. gehandelt hat, war das LG an die Gründe des § 244 StPO gebunden. Was damit ist, erfährt man in der Entscheidung nicht bzw. kann es auch nicht beurteilen, da der genaue Wortlaut des Antrags nicht mitgeteilt wird. Man kann also nur davon ausgehen, dass das OLG inzidenter die Beweisantragseigenschaft bejaht hat.
ZAP F. 22 R, S. 1311–1322
Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg