In Rechtsprechung und Literatur wird seit langem darum gestritten, ob die Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst oder ob dazu eine besondere Beiordnung nach PKH-Grundsätzen erforderlich ist (vgl. die Nachweise bei Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4143 VV Rn 18 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Volpert/Bearbeiter, RVG]). Die Frage ist 2019 auch nicht durch die Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung” v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) geklärt worden. Nun hat sich der BGH, der mit der Problematik bislang noch nicht befasst war, dazu geäußert (BGH, Beschl. v. 27.7.2021 – 6 StR 307/21, NJW 2021, 2901 = AGS 2021, 431).

Das LG hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der das Urteil mit der Sachrüge angreifende Angeklagte hatte Revision eingelegt und beantragt, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen. Der BGH hat den Antrag abgelehnt.

Dem Angeklagten stehe – so der BGH (a.a.O.) – keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm sei bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstrecke sich auf das Adhäsionsverfahren. Nach Darstellung des Streitstands in Rechtsprechung und Literatur (vgl. u.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O. und auch Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4143, 4144 Rn 5, jeweils m.w.N.) schließt sich der BGH der Auffassung an, die davon ausgeht, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Sei die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig i.S.v. § 140 StPO, so erstrecke sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn 4). Dies ergebe sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – i.d.R. untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten i.S.v. § 403 StPO (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3.2001 – 3 StR 25/01, NJW 2001, 2486 = StraFo 2001, 306). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz sei gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm StraFo 2001, 361 = AGS 2002, 110). Auch der Gesetzgeber sei mit der Regelung der Nr. 4143 VV RVG davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem „Pflichtverteidiger” zusteht (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 228; s. außerdem Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4143 VV Rn 21).

Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach Auffassung des BGH überdies auch der 2019 neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber habe die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl L 297 vom 4.11.2016, S. 1, „PKH-Richtlinie”) unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 2). Er habe eine Entscheidung gegen die „antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung” getroffen (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 4, 27), weil es „keine Vorteile mit sich bringen würde”. Daraus wird nach Ansicht des BGH deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

 

Hinweis:

Mit dieser Entscheidung hat der BGH nun endlich einen der gebührenrechtlichen Dauerbrenner der letzten Jahre geklärt. Der Argumentation des BGH ist nichts hinzuzufügen, außer: Argumentation und Entscheidung sind zutreffend.

Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebiete keine andere Wertung, denn sie bleibe zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.

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