I. Hinweise
1. Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.
Der Verfasser hat in ZAP F. 22 R, S. 1193 über das (geplante) „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.” berichtet. Dieses Gesetz und die darin enthaltenen Änderungen in der StPO sind inzwischen am 25.6.2021 in Kraft getreten (BGBl I, S. 2099). Wegen der Einzelheiten zu den Neuregelungen wird auf Burhoff ZAP F. 22, S. 997 ff. und StraFo 2021, 398 ff. verwiesen.
2. Änderungen im Recht der Wiederaufnahme (§ 362 StPO)
Noch am 11.6.2021 hatten die (damaligen) Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zu einer weiteren Änderung der StPO im Bundestag eingebracht, und zwar den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gem. § 362 der Strafprozessordnung” (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit, BT-Drucks 19/30399). Dieser ist dann bereits am 24.6.2021 im Bundestag beschlossen worden. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 17.9.2021 den Vermittlungsausschuss nicht angerufen. Die Änderungen sind bisher (Stand: 29.11.2021) noch nicht in Kraft getreten.
§ 362 StPO, der die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten regelt, ist durch dieses Gesetz um eine neue Nr. 5 erweitert worden. Eine Wiederaufnahme ist danach nun auch dann möglich, wenn sich aus nachträglich verfügbaren Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Freigesprochenen ergibt. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen in Art. 103 Abs. 3 GG, wo der Grundsatz „ne bis in idem” (Verbot der Doppelbestrafung: Niemand darf zweimal für dieselbe Tat angeklagt werden) verankert ist, ist die Möglichkeit einer Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten allerdings nur für die Fälle vorgesehen, in denen der Vorwurf auf Mord gem. § 211 StGB oder auf ein ausschließlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohtes Tötungsverbrechen nach dem VStGB lautet. Ziel dieser Neuregelung ist es, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten eines freigesprochenen Angeklagten bei schwersten Straftaten auch dann zu ermöglichen, wenn erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens neue, belastende Beweismittel aufgefunden werden, aus denen sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines zuvor Freigesprochenen ergibt, sodass ein Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu – gemessen an der materiellen Gerechtigkeit – schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde (BT-Drucks 19/30399, S. 1). Gedacht ist hier an die Fälle, in denen sich neuen belastenden Informationen nach Abschluss eines Verfahrens durch neue (technische) Untersuchungsmethoden – wie dies z.B. seit den späten 1980er Jahren mit der Analyse von DNA-Material der Fall ist oder wie dies künftig auch durch die digitale Forensik zu erwarten sein wird – auftun. Es bleibt abzuwarten, ob die Neuregelung einer sicherlich in nicht allzu ferner Zeit erfolgenden verfassungsrechtlichen Prüfung durch das BVerfG standhalten wird.
II. Ermittlungsverfahren
1. Pflichtverteidigung
a) Umfang der Bestellung des Pflichtverteidigers
In Rechtsprechung und Literatur wird seit langem darum gestritten, ob die Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst oder ob dazu eine besondere Beiordnung nach PKH-Grundsätzen erforderlich ist (vgl. die Nachweise bei Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4143 VV Rn 18 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Volpert/Bearbeiter, RVG]). Die Frage ist 2019 auch nicht durch die Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung” v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) geklärt worden. Nun hat sich der BGH, der mit der Problematik bislang noch nicht befasst war, dazu geäußert (BGH, Beschl. v. 27.7.2021 – 6 StR 307/21, NJW 2021, 2901 = AGS 2021, 431).
Das LG hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der das Urteil mit der Sachrüge angreifende Angeklagte hatte Revision eingelegt und beantragt, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen. Der BGH hat den Antrag abgelehnt.
Dem Angeklagten stehe – so der BGH (a.a.O.) – keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm sei bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstrecke sich auf das Adhäsionsverfahren. Nach Darstellung des Streitstands in Rechtsprechung und Literatur (vgl. u.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O. und auch Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4143, 4144 Rn 5, jeweils m.w.N.) schließt sich der BGH der Auffassung an, die davon ausgeht, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Sei die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig i.S.v. § 140 StPO, so erstrecke sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn 4). Dies ergebe sich bereits aus der engen tatsächlichen und r...