1. Besetzungseinwand (§ 222a StPO)
Bei einem Besetzungseinwand ist das Nachschieben von Tatsachen auch dann unzulässig, wenn die Beanstandungsfrist noch nicht abgelaufen ist. So hat jetzt das OLG Düsseldorf zur (Neu-)Regelung in § 222a StPO entschieden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.9.2022 – III-2 Ws 181-183/22). Nach dem Sachverhalt wurde bei einer großen Strafkammer seit dem 1.8.2022 gegen sechs Angeklagte u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhandelt. Das Verfahren gegen zwei Angeklagte war am 21.7.2022 hinzuverbunden worden. Besetzt war die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Am ersten Hauptverhandlungstag hat der Angeklagte H. durch seinen Verteidiger die auf zwei statt drei Berufsrichter reduzierte Besetzung mit der Begründung beanstandet, dass, insb. nach Verbindung der beiden Verfahren, mit mehr als zehn Verhandlungstagen zu rechnen sei. Diesem Besetzungseinwand haben sich zwei weitere Angeklagte jeweils durch ihren Verteidiger angeschlossen. Ferner hat der Angeklagte M. durch seinen Verteidiger die Besetzung mit den beiden anwesenden Schöffinnen beanstandet, weil diese nicht die tatsächlich zuständigen Schöffinnen seien. Diesem Besetzungseinwand haben sich die Angeklagten H. und D. jeweils durch ihren Verteidiger angeschlossen. Der Verteidiger des Angeklagten M. hatte der Strafkammer mit Telefax vom 8.8.2022, 23:14 Uhr, eine schriftsätzliche Begründung der Besetzungseinwände übermittelt. Ferner hat er noch am 8.8.2022 per Telefax jeweils einen Schriftsatz der Verteidiger der Angeklagten H. und D. an die Strafkammer weitergeleitet. Diese Schriftsätze beschränkten sich jeweils auf die Erklärung, dass sich der Unterzeichner den Ausführungen des Kollegen aus dem Schriftsatz vom 8.8.2022 anschließt. LG und OLG haben die Besetzungseinwände zurückgewiesen.
Das OLG verneint (ebenfalls) die Zulässigkeit der Besetzungseinwände. Bei einem Besetzungseinwand (§ 222a StPO) seien die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben (§ 222b Abs. 1 S. 2 StPO). Die an diesen Vortrag zu stellenden Anforderungen entspräche den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. OLG Brandenburg StV 2021, 815; OLG Celle StRR 3/2020, 15 = StraFo 2020, 159; OLG Hamm, Beschl. v. 12.5.2022 – 5 Ws 114/22). Die Verfahrenstatsachen seien mithin so vollständig und genau anzugeben, dass dem OLG allein auf Grundlage dieses Vortrags eine Entscheidung möglich sei. Ferner seien alle Beanstandungen gleichzeitig vorzubringen (§ 222b Abs. 1 S. 3 StPO). Das Nachschieben von Tatsachen sei auch dann unzulässig, wenn die Beanstandungsfrist noch nicht abgelaufen sei (vgl. BGH NStZ 1999, 367, 369; Gmel in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 222b Rn 9).
Auf der Grundlage war nach Auffassung des OLG das Vorbringen zu den Besetzungseinwänden völlig unzureichend. Am ersten Hauptverhandlungstag sei bei dem Einwand gegen die Besetzungsreduktion (§ 76 Abs. 2 GVG) lediglich vorgebracht worden, dass, insb. nach Verbindung der beiden Verfahren, mit mehr als zehn Verhandlungstagen zu rechnen sei. Die Besetzung mit den beiden anwesenden Schöffinnen sei nur mit der allgemein gehaltenen Begründung beanstandet worden, dass diese nicht die tatsächlich zuständigen Schöffinnen seien. Mangels Darlegung konkreter Verfahrenstatsachen ermögliche dieses unsubstantiierte Vorbringen eine Überprüfung der Besetzungseinwände in keiner Weise. Das Vorbringen in dem Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten M. vom 8.8.2022 sei unbeachtlich, da es entgegen § 222b Abs. 1 S. 3 StPO in unzulässiger Weise nachgeschoben worden sei. Dass die einwöchige Beanstandungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen sei, ändere daran – wie dargelegt – nichts. Es wäre – so das OLG – angezeigt gewesen, sich innerhalb der Beanstandungsfrist zunächst vollständige Kenntnis von den maßgeblichen Verfahrenstatsachen zu verschaffen und die Besetzungseinwände sodann gleichzeitig mit konkreten Darlegungen zu erheben. Die Beanstandungsfrist soll den Verfahrensbeteiligten gerade die Überprüfung der Besetzung ermöglichen (vgl. BT-Drucks 19/14747, S. 31). Vorliegend seit der Besetzungseinwand gegen die beiden Schöffinnen am ersten Hauptverhandlungstag gleichsam ins Blaue hinein erhoben worden. Erst danach sei seitens der Verteidigung die Einsichtnahme in die Unterlagen zur Heranziehung der beiden Schöffinnen erfolgt.
Hinweis:
Die Entscheidung ist auf der Grundlage des (teilweise neuen) § 222b StPO und der dazu bisher vorliegenden Rechtsprechung (vgl. neben den o.a. Zitaten auch noch KG, Beschl. v. 1.3.2021 – 4 Ws 14/21; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 3.11.2021 – 1 Ws 73/21; eingehend auch Burhoff StRR 6/2020, 6; Burhoff/Burhoff, EV, Rn 1200 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 931 ff.) zutreffend. Dass alle Beanstandungen sofort „auf den Tisch” müssen, galt schon zum alten Recht. Insofern setzt das OLG die alte Rechtsprechung nur fort. Es gibt zugleich auch einen Hinweis, wie zu verfahren ist: Hier hätte in der Hauptverhandlung...