Bereits der Koalitionsvertrag der „Ampel”-Parteien enthielt den Auftrag, das Strafgesetzbuch systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu überprüfen. Dabei sollte ein Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz gelegt werden. Diesen Auftrag verstanden die Verfasser als Ausdruck einer liberalen, evidenzbasierten Strafrechtspolitik, die das Strafrecht als Ultima Ratio begreift. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat nun ein Eckpunktepapier vorgelegt, mit dem diesem Auftrag nachgekommen werden soll. Es hat dabei – auch unter Berücksichtigung der Fachliteratur und der Rechtspraxis – eine Reihe von Delikten identifiziert, die nach Meinung des Ministeriums aufgehoben oder angepasst werden könnten.
Dazu gehören nach Auffassung des BMJ zunächst einmal Strafvorschriften, die sozusagen „aus der Zeit gefallen” sind, etwa das Entfernen amtlicher Bekanntmachungen vom „schwarzen Brett” (§ 134 StGB) oder der Missbrauch von Scheckkarten, die es schon lange nicht mehr gibt (§ 266b StGB). Andere Vorschriften sind aufgrund der Rechtsprechung obsolet geworden oder bedürfen der Überarbeitung, etwa die Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) und die Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB). Darüber hinaus hat das BMJ etwa ein Dutzend weiterer Strafvorschriften ausgemacht, die entweder ganz entfallen können, sprachlich angepasst werden müssen oder zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft werden könnten. Dazu zählen u.a.:
§ 142 sanktioniert derzeit denjenigen, der sich unerlaubt, entgegen den bestehenden Warte- und Auskunftspflichten, von einem Unfallort entfernt. Hierdurch sollen Unfallverursacher dazu angehalten werden, dass die übrigen Unfallbeteiligten und Geschädigten die notwendigen Informationen erhalten, welche zur Geltendmachung etwaiger zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche erforderlich sind. Für Konstellationen bei Unfällen mit bloßen Sachschäden schlägt das BMJ jetzt vor, alternativ zur ansonsten weiterhin bestehenden Wartepflicht eine neue Meldepflicht einzuführen sowie entsprechende Meldestellen einzurichten, an die zukünftig diese notwendigen Informationen auch digital übermittelt werden können. Hierdurch soll eine zeitgemäße sowie bürgerfreundliche Option zur Wartepflicht geschaffen werden.
- Mord, Totschlag, minder schwerer Fall des Totschlags (§§ 211, 212 StGB)
Die Strafvorschriften über die Tötungsdelikte stammen im Wesentlichen aus dem Jahr 1941. Sie bezeichnen den Täter als „Mörder” und „Totschläger”. Die atypische Gesetzesfassung beruht, wie das BMJ darlegt, auf der Lehre vom „Tätertyp”. Dabei handele es sich um die Vorstellung, dass es im Strafrecht nicht um die Bestrafung einer bestimmten Tat gehe, sondern um bestimmte Tätertypen. Diese Lehre sei besonders in der NS-Zeit populär gewesen. Auch wenn diese Lehre heute keine Rolle mehr spiele, seien die Formulierungen unverändert geblieben. Aus diesem Grund sollen die Normen sprachlich angepasst werden; eine inhaltliche Änderung der Rechtslage geht damit nicht einher.
Bei der Beförderungserschleichung ist der Unrechtsgehalt nach Auffassung des Ministeriums so gering, dass es nicht angemessen sei, diese weiterhin unter Strafe zu stellen. Für das Vorliegen einer Beförderungserschleichung müssten keine Zugangsbarrieren oder -kontrollen überwunden, Fahrscheine gefälscht oder Kontrollpersonen getäuscht werden. Der bloße Anschein, sich ordnungsgemäß zu verhalten, reiche aus. Die Tatbestandsalternative „Beförderung durch ein Verkehrsmittel” soll daher künftig durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand ersetzt werden.
Die Vorschrift stellt die Prostitution in Sperrbezirken unter Strafe. Nach Auffassung des BMJ schützt die Strafbarkeit allerdings nicht die betroffenen Frauen vor Zwangsprostitution; im Gegenteil erklärt sie diese Frauen selbst zu Straftäterinnen. Soweit die Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt die Allgemeinheit vor Belästigungen durch die Erscheinungsformen der Prostitution schützen soll, genüge dies für die Begründung einer Strafbarkeit im Hinblick auf das Ultima-Ratio-Prinzip nicht mehr, so das Ministerium. Der Verstoß gegen Sperrbezirksverordnungen könne deshalb künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Der Tatbestand der Gebührenüberhebung nach § 352 StGB stelle eine Privilegierung gegenüber der Regelung des Betrugs in § 263 StGB dar, erläutert das Ministerium in seinem Eckpunktepapier. Das spezifische Unrecht der Gebührenüberhebung bestehe darin, dass die Täter – etwa Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher oder Bezirksschornsteinfeger – für ihre Forderung zu Unrecht die Autorität einer gesetzlichen Gebührenregelung in Anspruch nähmen. Eine solche Privilegierung sei rechtspolitisch aber nicht begründbar, die Norm solle deshalb aufgehoben werden.