1. ne ultra petita: Allgemeiner Feststellungsantrag als unechter Hilfsantrag (sog. Schleppnetzantrag)
Im Anschluss an die Rechtsprechungsübersicht 1. Halbjahr 2022 (ZAP F. 17 R, 1099, 1113) ist über die geänderte Rechtsprechung des BAG zu berichten. Der Sechste Senat des BAG hat sich im Urt. v. 16.12.2021 (6 AZR 154/21, NZA 2022, 1005) nach einer Klagabweisung in erster Instanz und einer Nachkündigung in zweiter Instanz mit dem allgemeinen Feststellungsantrag befasst und dessen Punktualisierung ohne weitere Voraussetzungen zugelassen. Der Zweite Senat hat nun mit Beschl. v. 28.2.2023 (2 AZN 22/23, NZA 2023, 719) zu einer Kündigungsschutzklage und einem ergänzenden allgemeinen Feststellungsantrag offengelassen, ob der allgemeine Feststellungsantrag – der sog Schleppnetzantrag – als unechter Hilfsantrag auszulegen ist. Er fiele damit nur noch bei einem Obsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung an. Wird durch ein Instanzgericht nach einer Klagabweisung des Kündigungsschutzantrags über den allgemeinen Feststellungsantrag entschieden – und sei dies im Wege der Unzulässigkeit mangels Feststellungsinteresses, weil kein weitere Beendigungstatbestand in den Rechtsstreit eingeführt ist –, so liegt nach dem Zweiten Senat nun ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bindung an die Parteianträge (ne ultra petita) vor.
Der Tenor des LAG-Urteils lautet:
Zitat
„1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Bautzen vom 17.6.2021 – 4 Ca 4043/21 – wird als unzulässig verworfen soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags zu 2. Richtet, nämlich auf Feststellung, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.8.2021 hinaus fortbesteht (Anmerkung Schleppnetz). Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen (Anmerkung Kündigungsschutz).
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.”
Das ArbG hatte die Klage als unbegründet bzgl. Der Kündigungsschutzklage und des allgemeinen Feststellungsantrags abgewiesen. Der (Berufungs-)Kläger hat die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie die Verurteilung nach dem Kündigungsschutzantrag, dem allgemeinen Feststellungsantrag, dem Weiterbeschäftigungsantrag begehrt. Die beklagte Arbeitgeberin hat die Zurückweisung der Berufung beantragt. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg. Die Berufung und die Nichtzulassungsbeschwerde waren bereits unzulässig.
Zur Begründung führt der Zweite Senat aus, es könne dahinstehen, ob der allgemeine Feststellungsantrag des Klägers – was naheliegend ist – ohnehin nur als unechter Hilfsantrag anzusehen gewesen wäre, der nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung anfallen sollte. In einem solchen Fall würde die Entscheidung des ArbG über den allgemeinen Feststellungsantrag angesichts der Abweisung der Kündigungsschutzklage gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßen. Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes liegt in zwei Fällen vor, wenn: (1) Einer Partei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, und auch dann, wenn (2) ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Dies führt dazu, dass das Berufungsgericht die Entscheidung des ArbG insoweit für gegenstandslos erklärt.
Der Beschluss wirft eine wichtige Frage auf: Ist der allgemeine Feststellungsantrag – der „Schleppnetzantrag” – stets ein unechter Hilfsantrag?
- Das BAG lässt die Frage zwar offen, beantwortet sie aber doch, weil es das Verbot des § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO – „ne ultra petita” – anspricht und als gegeben ansieht.
- Hat der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage verloren, so stellt sich die Frage einer weiteren Kündigung nur, wenn es eine ordentliche Kündigung ist, die nach dem Beendigungszeitpunkt wirksam wird.
- Bei den Fällen übereinstimmender Kündigungstermine (nach dem Gesetz: 15. oder Monatsende; nach vertraglicher Gestaltung oder Tarifvertrag: Quartalsende; nach vertraglicher Gestaltung: Halbjahr oder Jahresende) oder bei einer außerordentlichen Kündigung, die in den Lauf der Kündigungsfrist fällt, stellt sich die Frage nicht. Der „erweiterte punktuelle Streitgegenstand” erfasst nach der Streitgegenstandslehre des BAG bereits ohne Schleppnetzantrag alle Ereignisse, die vor Ablauf der Kündigungsfrist liegen. Das BAG nennt das „kleines Schleppnetz” (BAG, Urt. v. 16.12.2021 – 6 AZR 154/21, NZA 2022, 1005; BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 67/18, NZA 2018, 1127). Der Kündigungsschutzantrag hat zugleich den Inhalt, dass im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Deshalb werden alle Folgekündigungen erfasst, deren Beendigungswirkung vor oder zeitgleich mit der Erstkündigung liegen.
- Damit fällt der Schleppnetzantrag tatsächlich nach der Streitgegenstandslehre nur bei einem Obsiegen an, sog. Unechter Hilfsantrag für den Fall des Prozessgewinns mit dem Erstantrag.
- Auch der Vergleich mit einer Folgekündigung bestätigt dies. Das LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.9.2016 – 5 Ta 101/16 (zum Streitwert) bew...