Auch wenn die Vorschriften des VerständigungsG in der Praxis mangels weiterer Tatsacheninstanzen vorrangig für erstinstanzliche Verfahren vor dem LG von Bedeutung sind, gelten sie uneingeschränkt auch für amtsgerichtliche Verfahren (Stichworte: Sprungrevision und Rechtsbeschwerde).
Hinweis:
Näher Deutscher VRR 2014, 410 zu Verständigungen in verkehrsrechtlichen Verfahren vor dem AG und Kunze ZAP F. 22, S. 745 zu Verständigungen aus amtsgerichtlicher Sicht.
1. Berufungsverfahren
a) Gegenstand und Bindungswirkung der Verständigung
Das Berufungsgericht ist an eine erstinstanzlich erzielte Verständigung grundsätzlich nicht gebunden. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich das Berufungsgericht freiwillig mittelbar an eine in erster Instanz erzielte Verständigung bindet, indem es das erstinstanzlich im Rahmen einer zulässigen Verständigung abgegebene Geständnis durch Sekundärbeweismittel in die Berufungshauptverhandlung einführt. In diesem Fall entsteht eine Wechselwirkung zwischen der Verwertung des (erstinstanzlichen und auf einer Verständigung beruhenden) Geständnisses und der Bindung des Berufungsgerichts an die weiteren Bedingungen der Verfahrensabsprache. Macht das Berufungsgericht von seiner fehlenden Bindung an die erstinstanzlich erzielte Verständigung Gebrauch, unterliegt im Gegenzug das auf der Verständigung beruhende Geständnis in erster Instanz einem Verwertungsverbot. In diesem Fall ist der Angeklagte entsprechend § 257c Abs. 4 S. 4 StPO qualifiziert über die Unverwertbarkeit seines erstinstanzlich abgegebenen Geständnisses zu belehren. Aus dem Fehlen der gebotenen qualifizierten Belehrung folgt jedoch nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot; die Verwertbarkeit der im Berufungsverfahren erfolgten Einlassung des Angeklagten ist vielmehr durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (OLG Karlsruhe NJW 2014, 2213 = NStZ 2014, 294). Die nachträgliche Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nach § 257c Abs. 2 S. 1 StPO ein der Verständigung im Berufungshauptverfahren jedenfalls grundsätzlich zugänglicher Gegenstand (OLG Karlsruhe NStZ 2014, 536).
b) Mitteilungsverstoß und Berufungsbeschränkung
Die fehlende Dokumentation von verständigungsbezogenen Gesprächen führt nach Ansicht des OLG Stuttgart (StV 2014, 397 = StraFo 2014, 152 = StRR 2014, 309 [Deutscher]) zur von Amts wegen zu beachtenden Unwirksamkeit einer in Folge solcher Gespräche erklärten Beschränkung der Berufung eines Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch, wenn nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass die Beschränkungserklärung von der Verletzung der Dokumentations- und Transparenzpflicht vollständig unbeeinflusst geblieben ist. Demgegenüber verlangt das OLG Hamburg (NStZ 2014, 534 = StRR 2014, 496 [Deutscher]) zutreffend eine Verfahrensrüge wegen Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 StPO (abl. auch Wenske NStZ 2015, 137, 138).
2. Bußgeldverfahren
Entscheidungen zu Verständigungen im Bußgeldverfahren (näher Burhoff, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, Rn 2676; Deutscher VRR 2014, 410, 413 ff.) sind äußerst rar gesät. Werden im Vorfeld zur Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren Gespräche über eine Totaleinstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG geführt, erweisen sich diese nicht als mitteilungspflichtige verständigungsbezogene Erörterungen, wenn nur eine Tat im prozessualen Sinne und ein einziger hierdurch verwirklichter Bußgeldtatbestand in Rede stehen (so OLG Hamburg NStZ 2015, 661 = StRR 2015, 312 [Deutscher]).