Eine ganz aktuelle Entscheidung des 4. Strafsenats (Beschl. v. 21.11.2018 – 4 StR 15/18 m. Anm. Deckenbrock NJW 2019, 318) widmet sich dem Straftatbestand des Parteiverrats (§ 356 StGB), der das berufsrechtliche Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen strafrechtlich ergänzt. Angeklagt war ein Rechtsanwalt, der die Stadt O. und zwei kommunale Gesellschaften sowie zehn Privatpersonen jeweils als Prozessbevollmächtigter in Verwaltungsstreitverfahren vor dem BVerwG vertreten hat. Gegenstand der verbundenen Verfahren waren zwei Planfeststellungsbeschlüsse des Eisenbahnbundesamts, mit denen Pläne zur Ertüchtigung einer Bahnstrecke für Planabschnitte außerhalb von O. festgestellt worden waren. Mit ihrer Klage erstrebten die Kläger, die infolge des geplanten Ausbaus eine Zunahme der Lärmbelastung für Anwohner der Strecke im Stadtgebiet von O. befürchteten, die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der beiden Planfeststellungsbeschlüsse, hilfsweise die Verpflichtung der Bundesrepublik, die Beschlüsse um Lärmschutzauflagen zu ergänzen. Um eine von ihr befürchtete Grundsatzentscheidung über Befahrensbeschränkungen etwa in Form von Geschwindigkeits- oder Fahrtzeitenregelungen zu verhindern, schlug die DB Netz AG als Vorhabenträgerin und Beigeladene den Klägern im Vorfeld eines gerichtlichen Erörterungstermins vor, den Rechtsstreit vergleichsweise beizulegen. Sie bot den Klägern insbesondere an, Lärmschutzmaßnahmen an lärmbetroffenen Grundstücken im Stadtgebiet von O. vorzeitig durchzuführen.
Der später angeklagte Rechtsanwalt hielt diesen Vergleichsvorschlag für überaus vorteilhaft und fasste den Entschluss, sich mit Nachdruck für die Annahme des Vergleichs und eine entsprechende Gesamterledigung der Verfahren einzusetzen. Während die Stadt O. und die kommunalen Gesellschaften grundsätzlich bereit waren, den Vergleich abzuschließen, lehnten die privaten Kläger das Vergleichsangebot ab. Der betroffene Rechtsanwalt ergriff trotz der entgegenstehenden Weisung der privaten Kläger gleichwohl verschiedene Maßnahmen, um den aus seiner Sicht auch für die privaten Kläger günstigen Vergleich durchzusetzen.
Der BGH hat die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Parteiverrats (§ 356 Abs. 2 StGB) zwar aufgehoben, ihn aber eines einfachen Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Insoweit bekennt sich der Senat erfrischend klar dazu, dass es jedenfalls in Verfahren, bei denen die mit dem begehrten Rechtsschutz verfolgten Anliegen ausschließlich der Dispositionsbefugnis der Beteiligten unterliegen, für die Interessenbestimmung entscheidend auf die subjektive Zielsetzung der Partei ankomme (zum Streit, ob die Interessenbestimmung objektiv oder subjektiv vorzunehmen ist, s. Henssler/Deckenbrock NJW 2012, 3265, 3267 f.). Allein die Partei bestimme, welche ihrer Belange sie im Prozess verwirklicht sehen will; demgegenüber sei es ohne Bedeutung, was von den Parteibelangen aus Sicht des Anwalts vernünftigerweise vertretbar oder bestenfalls erreichbar erscheint. Denn anderenfalls dürfte sich der Anwalt, statt Sachverwalter seines Auftraggebers zu sein, zu dessen Richter aufschwingen. Der Senat zieht hieraus zu Recht den Schluss, dass seit dem Erörterungstermin innerhalb der Klägergemeinschaft von der Stadt O. und den kommunalen Gesellschaften einerseits sowie den privaten Klägern andererseits gegenläufige Interessen verfolgt wurden (zum Merkmal des Interessengegensatzes s. Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn 145 ff.). Während die Stadt und die kommunalen Gesellschaften mit Blick auf die Belange aller in O. wohnhaften Bahnanlieger einen Vergleich anstrebten, wollten die privaten Kläger weiter eine Sachentscheidung des BVerwG herbeiführen. Diesen Interessengegensatz hätte der Angeklagte zum Anlass nehmen müssen, die Verfahren nicht mehr weiter durch anwaltliches Tätigwerden in die eine oder andere Richtung zu fördern, er hätte also alle Mandate nach Auftreten des Interessenkonflikts niederlegen müssen.
Für einen schweren Parteiverrat hätte allerdings die Tathandlung vom Einverständnis der Gegenpartei getragen werden müssen. Als Teilelement des gemeinsamen Bewusstseins um die Schädigung der Partei hätte dabei das Einverständnis der Gegenpartei bereits zu dem Zeitpunkt vorliegen müssen, zu dem der Anwalt pflichtwidrig gedient hat. Allein in der bloßen Hinnahme der im Laufe des gerichtlichen Erörterungstermins geäußerten Anregung durch den Vertreter der Beigeladenen liegt nach Auffassung des Senats kein solches Einverständnis der Gegenpartei vor. Vielmehr sei die Anregung der Protokollerklärung ohne Veranlassung durch den Vertreter der Beigeladenen aufgrund eines spontanen Entschlusses des Angeklagten erfolgt.