Gegenstand eines Rügeverfahrens war das Verhalten eines Rechtsanwalts, der einerseits Vorstandsmitglied einer AG ist, die anwaltliche Gebührenforderungen mit Übernahme des Bonitätsrisikos ankauft, sowie andererseits Gesellschafter und Geschäftsführer einer Anwalts-GmbH, die regelmäßig von der AG mit der (gerichtlichen/außergerichtlichen) Durchsetzung der Gebührenforderungen beauftragt wird. Das vom betroffenen Anwalt angerufene AnwG Köln (Beschl. v. 19.2.2018 – 2 AnwG 2/15 R) hat den von der zuständigen Rechtsanwaltskammer erlassenen Rügebescheid bestätigt und einen Berufsrechtsverstoß gem. § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO angenommen. Nach Ansicht des Anwaltsgerichts ist der Rechtsanwalt als Mitglied des Kollegialorgans "Vorstand" vorbefasst und damit als Rechtsanwalt nicht mehr unabhängig. Insoweit bestehe die Gefahr, dass seine Tätigkeit als Vorstand, in der er Bindungen und Weisungen unterliege, auf die Tätigkeit als unabhängiger Rechtsanwalt durchschlage. Zwar erscheint die Entscheidung angesichts des weit gefassten Wortlauts des § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO auf den ersten Blick grundsätzlich nachvollziehbar. Der Beschluss trägt aber den verfassungsrechtlichen Bedenken, die bei einer solch weiten Auslegung der Norm bestehen, nicht hinreichend Rechnung. Insoweit ist zu beachten, dass im streitgegenständlichen Verfahren der betroffene Rechtsanwalt nie im widerstreitenden Interesse tätig war. Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit im entschiedenen Fall Weisungen aus der nichtanwaltlichen Tätigkeit in die anwaltliche Tätigkeit hineinwirken sollen (so auch Grunewald NJW 2018, 3623, 3626). Es dürfte verfassungsrechtlich kaum haltbar sein, wenn § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO – anders als § 43a Abs. 4 BRAO – für das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (vgl. BAG, Beschl. v. 25.8.2004 – 7 ABR 60/03; BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ [Brfg] 35/11 Rn 14) auf einen konkreten Interessengegensatz zwischen den Parteien verzichtet (anders aber BGH, Urt. v. 3.11.2014 – AnwSt [R] 4/14 Rn 12; s. dazu Deckenbrock NJW 2015, 522 ff.). Die Entscheidung des AnwG Köln verdeutlicht daneben noch ein anderes Dilemma: Ein Anwalt, der eine Rüge erhält, kann diese gem. § 74a BRAO allein vor dem ausschließlich mit Rechtsanwälten besetzten Anwaltsgericht angreifen; der weitere Rechtsweg ist ihm – von der Verfassungsbeschwerde abgesehen, deren Erfolgsaussichten in Rügeverfahren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2015 – 1 BvR 2400/15 Rn 8) aufgrund der geringen Grundrechtsbetroffenheit regelmäßig gering ist – versperrt.
Die fehlende Auseinandersetzung des AnwG Köln mit der Verfassungsmäßigkeit des § 45 BRAO ist umso erstaunlicher, als das Gericht das Verfahren im Hinblick auf eine in einem anderen Verfahren erwartete Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde zur Reichweite des § 45 BRAO ausgesetzt hatte. Angesichts der vom DAV (Stellungnahme Nr. 68/2016) und der BRAK (Stellungnahme Nr. 7/2017) abgegebenen Stellungnahmen war allseits erwartet worden, dass die Karlsruher Richter die Reichweite des § 45 Abs. 1 BRAO signifikant einschränken und jedenfalls außerhalb einer hoheitlichen Tätigkeit das Vorliegen eines Interessengegensatzes verlangen werden. Da allerdings das BVerfG nicht mehr über die Verfassungsbeschwerde entscheiden konnte, nachdem der Beschwerdeführer im Juli 2017 verstorben ist (vgl. Beschl. v. 24.10.2017 – 1 BvR 1312/16), bleiben die verfassungsrechtlichen Grenzen für ein Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltlicher Vorbefassung weiter offen (ausführlich dazu Deckenbrock AnwBl 2017, 1186 ff.).