Ein Urteil des Anwaltssenats des BGH vom 2.7.2018 (Az. AnwZ [Brfg] 24/17, ZAP EN-Nr. 600/2018) widmet sich dem in § 43b BRAO normierten Verbot der Einzelfallwerbung. Zwar hatte der Gesetzgeber im Rahmen der BRAO-Novelle 1994 noch die Absicht, es ganz umfassend zu verhindern, dass der Rechtsanwalt von sich aus um die Erteilung einzelner Mandate wirbt (BT-Drucks 12/4993, S. 29). Der I. Zivilsenat des BGH hat aber bereits 2013 (Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/12; vgl. auch nachfolgend Urt. v. 10.7.2014 – I ZR 188/12) das Verbot im Wege verfassungs- und europarechtskonformer Auslegung erheblich eingeschränkt. Eine Einschränkung der Werbemöglichkeit eines Rechtsanwalts komme nämlich nur dann in Betracht, wenn sie im Einzelfall durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die werberechtlichen Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts dem Zweck dienen, einerseits die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern, andererseits auch die Interessen der Rechtsuchenden zu gewährleisten, sich an Hand sachlicher Informationen entscheiden zu können, ob und ggf. welcher Rechtsanwalt mit einer Rechtssache betraut werde. Im Ergebnis sah es der I. Senat als zulässig an, wenn ein Anwalt einen potenziellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs (im Streitfall war dies die Inanspruchnahme als Kommanditist einer Fondsgesellschaft auf Rückzahlung von Ausschüttungen) persönlich anschreibe und seine Dienste anbiete. Ein Verstoß liege jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat einerseits durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt werde und er sich andererseits in einer Lage befinde, in der er auf Rechtsrat angewiesen sei und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein könne. Diese Rechtsprechung hat der Anwaltssenat nun konsequent fortgeführt und ein aufgrund von Auskünften aus dem Insolvenzregister versandtes Werbeschreiben an den Geschäftsführer einer juristischen Person mit rechtlichen Hinweisen auf dessen Rechte und Pflichten im Insolvenzverfahren als zulässig angesehen, wenn es sachlich sei und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht beeinträchtige.
Mit dieser Entscheidungsserie hat der BGH das Verbot der Einzelfallwerbung de facto abgeschafft. Es kann allenfalls noch zum Schutz des potenziellen Mandanten vor einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein. Unzulässig sind damit allein besonders gemeinwohlschädliche Varianten des Direktmarketings, wie etwa das Ansprechen eines unter Schock stehenden Unfallopfers. An sich zulässige anwaltliche Werbeschreiben an Nicht-Mandanten können aber nach einer Entscheidung des AnwG Berlin (Beschl. v. 5.3.2018 – 1 AnwG 34/16) einen Berufsrechtsverstoß i.S.d. § 43 BRAO darstellen, wenn die Daten der Beworbenen in datenrechtlich unzulässiger Weise aus einer nicht frei zugänglichen Quelle (hier: Insolvenzakte) stammen und keine Einwilligung der Betroffenen vorliegt.