1. Allgemeines
Ist gegen den Angeklagten ein Verwerfungsurteil ergangen, sollte stets sowohl der nach § 329 Abs. 7 StPO zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt als auch Revision eingelegt werden (zu den Rechtsmittel auch Burhoff/Kotz/Kotz, Teil A Rn 73 ff.). Es gilt § 342 Abs. 2 StPO (zur Entscheidungszuständigkeit OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 215); die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist vorrangig (OLG Bamberg zfs 2016, 350 [für Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG]). Die Einlegung der Revision ohne Verbindung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt als Verzicht auf das Wiedereinsetzungsverfahren (§ 342 Abs. 3 StPO); das ist nicht von einer vorherigen Rechtsmittelbelehrung abhängig (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 21). Für die Rechtzeitigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags des Angeklagten ist das Datum der (letzten) Zustellung des die Berufung verwerfenden Urteils entscheidend; ob der Angeklagte schon früher Kenntnis von der Berufungsverwerfung hatte, ist unerheblich (OLG Oldenburg StraFo 2011, 280).
Hinweis:
Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das LG, und zwar auch, wenn die Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag versäumt sein sollte. Das OLG kann die Entscheidung nicht an sich ziehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.4.2018 – 2 Ws 151/18; OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 215; Meyer-Goßner/Schmitt, § 46 Rn 2 m.w.N.).
2. Prüfungsumfang
Der Verteidiger muss bei der Begründung seiner Rechtsbehelfe den unterschiedlichen Prüfungsumfang für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einerseits und für die Revision andererseits berücksichtigen. Mit der Revision kann nur die Verletzung des § 329 StPO geltend gemacht werden, also z.B., dass das Gericht nicht alle erkennbaren Entschuldigungsgründe zugrunde gelegt oder dass es den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" verkannt hat (zu Einzelheiten s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 48 m.w.N.; OLG Hamm StV 1997, 346; LG Potsdam VRS 130, 122). Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag richtet sich der Verteidiger gegen die "Versäumung der "Berufungshauptverhandlung" oder der "Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins"."
Hinweis:
Nur mit dem Antrag kann der Verteidiger daher nachträglich neue (!) Entschuldigungsgründe geltend machen (KG NStZ-RR 2006, 183 m.w.N.; OLG Frankfurt NJW 1974, 1151; OLG Hamm wistra 2008, 40; zum Umfang der erforderlichen Darlegungen s. obige Rspr.-Nachw.).
Der Verteidiger kann daher zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs keine Gründe, die dem Berufungsgericht bereits bekannt waren, wiederholen (OLG Hamm NStZ-RR 1997, 368 f.; OLG München NStZ 1988, 377; LG Dresden StRR 2015, 443 [Ls.]; LG Potsdam VRS 130, 122 [für Bußgeldverfahren]). Etwas anderes gilt, wenn das Berufungsgericht im Verwerfungsurteil lediglich Vermutungen über die Entschuldigungsgründe angestellt hat (KG a.a.O.). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn mit dem Wiedereinsetzungsantrag weitere Tatsachen vorgetragen werden, die den bisherigen – vom Tatgericht bereits gewürdigten – Entschuldigungsgrund ergänzen, verdeutlichen und glaubhaft machen sollen (LG Potsdam a.a.O.).
Hinweis:
Der Verteidiger muss die Wiedereinsetzung ausdrücklich beantragen. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen scheidet bei der Versäumung der Hauptverhandlung aus (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 314).
3. Verfahrensrüge
In der Revision ist die Verfahrensrüge zu erheben (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 48 f. m.w.N. aus der Rspr., u.a. KG StRR 2015, 64 m. Anm. Hanschke; OLG Nürnberg StraFo 2008, 248; NJW 2009, 1761 [zugleich zu den Begründungsanforderungen]; a.A. OLG Dresden NJW 2000, 3295; s. auch BGHSt 46, 230; zur Verfahrens- und Sachrüge im Fall des § 329 Abs. 1 StPO eingehend Weidemann, Verfahrens- und Sachrüge gegen Prozeßurteile, in: Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, 2002, S. 653 ff.; Burhoff/Kotz/Kotz, Teil A Rn 82 ff.; zu den Anforderungen an die Revision in den "Vertretungsfällen" s. OLG Hamm StV 2018, 150; OLG Jena StraFo 2016, 417; OLG Oldenburg StV 2018, 148.). Diese unterliegt den strengen Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (Burhoff, HV, Rn 2541).
Hinweis:
Die Frist für die Begründung der Revision ist nicht während des Wiedereinsetzungsverfahrens gehemmt.
Welche Rügen in Revision mit der Verfahrensrüge erhoben werden können und in welcher Form dies zu geschehen hat, richtet sich danach, worüber das Revisionsgericht rechtlich zu urteilen in der Lage ist. Dieser Prüfungsumfang ist bei der Anfechtung von Verwerfungsurteilen beschränkt darauf,
- ob der Angeklagte zur Berufungsverhandlung ordnungsgemäß geladen worden war,
- das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht erfüllt und seiner Entscheidung alle in diesem Zeitpunkt erkennbaren Entschuldigungsgründe zugrunde gelegt und
- Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung rechtsfehlerfrei beurteilt hat (vgl. u.a. OLG Düsseldorf StV 2009, 13; OLG Schleswig SchlHA 2002, 171).
Hinweis:
Hat sich das Gericht in den Urteilsgründen mit den Entschuldigungsgründen auseinandergesetzt, i...