§ 164 Abs. 1 ist als Organisationspflicht für den Arbeitgeber ausgestaltet. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, vor jeder Stellenbesetzung zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Dabei ist die BA für Arbeit einzubinden, diese kann als arbeitslos oder als arbeitssuchend gemeldete schwerbehinderte Menschen dem Arbeitgeber vorschlagen. Weiter hat der Arbeitgeber die SBV bzw. die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen, insb. den BR, einzubeziehen.
Hieraus lässt sich aber keine unmittelbare Einstellungspflicht eines schwerbehinderten Menschen für den Arbeitgeber ableiten, sondern lediglich eine mittelbare Pflicht, indem der Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen muss, um wenigstens die Mindestbeschäftigungsquote zu erreichen (vgl. Düwell, LPK SGB IX zu § 164 Rn 103/104).
Prüfungsreihenfolge für den Arbeitgeber:
- Liegt eine freie Stelle vor?
- Erstellen eines konkreten Anforderungsprofils
- Besetzungs-/Auswahlverfahren
Es stellt sich die Frage, wann der Arbeitgeber i.S.d. § 164 Abs. 1 aktiv werden muss. Dies ist dann der Fall, wenn ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist. Dabei wird der freie Arbeitsplatz sehr weit definiert, es betrifft nicht nur neu geschaffene oder extern zu vergebende Stellen, sondern ist auch anzunehmen bei der Wiederbesetzung oder nur interner Vergabe von Arbeitsstellen bzw. demnächst frei werdenden Stellen. (vgl. Düwell, LPK SGB IX zu § 164 Rn 110, 113, 114). Eine freie Stelle liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber plant, diese mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen (vgl. BAG, Urt. v. 23.6.2010 – 7 ABR 3/09; BAG, Urt. v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12).
Im nächsten Schritt hat der Arbeitgeber dann noch vor der eigentlichen Stellenausschreibung ein konkretes Anforderungsprofil zu erstellen. Mit dem konkreten Anforderungsprofil soll das Ziel der Beschäftigungsförderung von schwerbehinderten Menschen besser erreicht werden, denn es ist davon auszugehen, dass kein Arbeitsplatz von vornherein für schwerbehinderte Menschen ungeeignet ist. Neben dem Anforderungsprofil sind auch Angaben über die zu erwartende Arbeitsbelastung anzuführen sowie eine Gefährdungsbeurteilung nach §§ 5,6 ArbSchG zu erstellen. Im Hinblick auf mögliche negative Folgen für den Arbeitgeber, insb. auf Schadenersatzansprüche wegen Diskriminierung schwerbehinderter Menschen, sollte auf die Erstellung des Anforderungsprofils allergrößte Sorgfalt verwendet werden.
Hilfreich ist hierbei die Orientierung an einem Kriterienkatalog:
- Welche beruflichen Qualifikationen sind erforderlich?
- Handelt es sich um eine körperlich leichte oder schwere Tätigkeit?
- Bestehen besondere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit von Fingern/Händen?
- Erfordert die Tätigkeit ständiges Gehen, Stehen oder Sitzen oder wechselnde Körperhaltungen bzw. Zwangshaltungen?
- Ist die Tätigkeit mit Heben oder Tragen verbunden? Wenn ja, um welche Lasten geht es?
- Erfordert die Tätigkeit häufiges Bücken oder das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten?
- Ist die Tätigkeit mit besonderen Anforderungen an Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen verbunden?
- Besteht eine Verantwortung für Personen und Maschinen?
- Ist der Arbeitnehmer mit der Überwachung und/oder der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge betraut?
- Ist die Tätigkeit mit Publikumsverkehr verbunden?
- Ist der Arbeitsplatz besonderen Belastungsfaktoren ausgesetzt?
- Handelt es sich um Schichtarbeit oder eine Tätigkeit mit häufig wechselnden Arbeitszeiten?
- Gibt es weitere besondere Belastungsfaktoren (Arbeit bei Nässe, Kälte, Zugluft, Lärm, Vibration etc.)?
Literaturhinweis:
Vgl. Schmidt, Bettina Schwerbehindertenarbeitsrecht, 3. Aufl. 2019, Rn 138; Düwell LPK SGB IX zu § 164 Rn 129–130; Fabricius juris-PK zu § 164 Rn 20.
Allein schon aus Transparenzgründen sollte der Kriterienkatalog für alle Anforderungsprofile nach einem einheitlichen festgelegten Verfahren ermittelt werden. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber in der Gestaltung des Anforderungsprofils zwar frei, aber es ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber hier die Beteiligung der SBV vorgesehen hat, ebenso wie das Anforderungsprofil Grundlage für den Vermittlungsprozess der BA für Arbeit ist. Vereinzelt wird an der Unterstützung der BA für Arbeit Kritik laut. Die Unterstützung der Arbeitgeber zur Erfüllung ihrer Pflicht nach § 164 Abs. 1 SGB IX ist nicht immer zufriedenstellend, oftmals erhält der Arbeitgeber lediglich die Auskunft, man möge die vorgesehene Stelle doch allgemein als freie Stelle der BA für Arbeit melden. Dies wird den besonderen Vorgaben nicht gerecht, die Schaffung eines eigenständigen Portals für Arbeitgeber zur Erfüllung ihrer Pflicht nach § 164 Abs. 1 SGB IX wäre sinnvoll und würde auch die Betreuung von schwerbehinderten Arbeitslosen verbessern (vgl. Fabricius in juris-PK, 3. Aufl. 2018, zu § 164 Rn 19 unter Bezugnahme auf LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.12.2013 – 26 TaBv 1164/13, ZB 2014, Nr. 2, 13).
Im nächsten Schritt findet dann die eigentliche Personalauswahl statt. Diese ...