1. Bestimmung einer Betragsrahmengebühr bei Gebührenanrechnungen (§ 14 Abs. 2 RVG)
In § 14 Abs. 2 RVG ist eine neue allgemeine Regelung für die Anrechnung von Betragsrahmengebühren eingeführt worden. Diese ersetzt die entfallenen Regelungen in Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 3 VV RVG und in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG (vgl. Burhoff RVGreport 2020, 402 f.; Volpert RVGreport 2020, 362, 364; ders. AGS 2020, 445 f.; Hansens ZAP F. 24 S. 1802, 1804). Nach dem neuen § 14 Abs. 2 RVG soll dann, wenn eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen ist, die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen sein, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. In den Teilen 4 und 5 VV RVG kann diese Regelung u.a. auf folgende Anrechnungsvorschriften Auswirkungen haben:
- Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4100 VV RVG (Grundgebühr) (Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4100 VV RVG Rn 59 f.),
- Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4143 VV RVG (zusätzliche Verfahrensgebühr) (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4143 VV RVG Rn 41 ff.),
- Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG (vorangegangene Einzeltätigkeit) (Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV RVG Rn 77 ff.) und
- Abs. 3 der Anm. zu Nr. 5200 VV RVG (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 5200 VV RVG Rn 21),
- aber nicht bei der "Anrechnung" nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 5100 VV RVG (Grundgebühr im Bußgeldverfahren nach vorangegangenem Strafverfahren), da es sich dabei nicht um eine "Anrechnung" i.e.S. handelt (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 5100 VV RVG Rn 6 ff.).
Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass die Synergieeffekte, die bei einer fortschreitenden Befassung eintreten, ausschließlich durch die vorgeschriebene Gebührenanrechnung berücksichtigt werden sollen. Die Bestimmung der Höhe der zweiten Verfahrensgebühr soll danach so erfolgen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. Diese Regelung bezieht sich damit auf sämtliche Bemessungsmerkmale des § 14 Abs. 1 RVG (BT-Drucks 19/23484, S. 75 f). Die Regelung soll sicherstellen, dass für Rechtsanwälte, deren Verfahrens- oder Geschäftsgebühr einer Anrechnung unterliegt, diese Gebühren vor Anrechnung in derselben Höhe anfallen wie für diejenigen Rechtsanwälte, die zuvor nicht tätig waren. Nur so werde eine Gleichbehandlung mit den Fällen erreicht, in denen – wie etwa in zivilprozessualen Mandaten – keine Rahmengebühren vorgesehen seien (BT-Drucks 19/23484, S. 76).
Beispiel:
Rechtsanwalt A hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Entstanden sind die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG. Das Bußgeldverfahren wird an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Hier ist der Rechtsanwalt zunächst weiter für den Mandanten tätig. Der beauftragt dann aber vor Anklageerhebung einen anderen Verteidiger, den Rechtsanwalt B.
Rechtsanwalt A rechnet wie folgt ab:
I. |
Abrechnung nach altem Recht |
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1. |
Bußgeldverfahren |
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Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG |
100,00 EUR |
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Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG |
160,00 EUR |
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Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV RVG |
160,00 EUR |
2. |
Strafverfahren |
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Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG |
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allerdings wegen des vorangegangenen Bußgeldverfahrens nicht in Höhe der Mittelgebühr |
150,00 EUR |
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Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG |
160,00 EUR |
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Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG |
– 100,00 EUR |
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Summe |
630,00 EUR |
II. |
Abrechnung nach neuem Recht |
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Nach § 14 Abs. 2 RVG ist die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG so zu bestimmen, als sei der Verteidiger zuvor nicht tätig gewesen. |
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1. |
Bußgeldverfahren |
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Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG |
110,00 EUR |
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Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG |
176,00 EUR |
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Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV RVG |
176,00 EUR |
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Summe |
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2. |
Strafverfahren |
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Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG |
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jetzt wegen § 14 Abs. 2 RVG (auch) in Höhe der Mittelgebühr |
220,00 EUR |
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Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG |
181,50 EUR |
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Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG |
– 110,00 EUR |
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Summe |
753,50 EUR |
2. Erstreckung (§ 48 Abs. 6 RVG)
In der Praxis spielen im Recht der Pflichtverteidigung die mit § 48 Abs. 6 RVG zusammenhängenden Fragen in den Fällen der Verbindung mehrerer Verfahren eine große Rolle (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 6 und Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl., § 48 Rn 194 ff.; Burhoff, StraFo 2014, 454; ders. RVGreport 2008, 129). Dabei geht es immer um die Frage, ob der Verteidiger auch in den Verfahren die gesetzlichen Gebühren geltend machen kann, in denen er (noch) nicht zum Pflichtverteidiger bestellt war. Dazu ist in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG die sog. Erstreckung vorgesehen. In dem Zusammenhang ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (gewesen), ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits aus § 46 Abs. 6 S. 1 RVG folgt und ob demgemäß der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG entsprechend auf Fälle beschränkt ist, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden.
Beispiel:
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten ursprünglich zwei Ermittlungsverfahren geführt, und zwar das Verfahren V1 sowie das Verfahren V...