1. Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO
Ziel einer Anfechtungsklage ist die (Teil-)Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts. Es handelt sich dabei um eine Gestaltungsklage. Voraussetzung für eine Aufhebung ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Folge ist die Aufhebung des Verwaltungsakts durch das Gericht, § 113 Abs. 1 VwGO. Anfechtungsklagen gibt es auch im Finanzgerichtsverfahren (§ 40 Abs. 1 FGO) – dort die mit Abstand wichtigste Klageart – und im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 54 Abs. 1 SGG).
a) Verwaltungsakt, § 35 VwVfG
Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach § 79 Abs. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, bzw. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.
Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht, § 79 Abs. 2 VwGO.
Teilbare Verwaltungsakte können hinsichtlich der einzelnen Teile angefochten werden. Es gibt selbstständige und unselbstständige Nebenbestimmungen. Selbstständig sind:
Unselbstständige sind:
Hinweis:
Unselbstständige Nebenbestimmungen sind isoliert anfechtbar, sofern sie prozessual und materiell teilbar sind.
b) Rechtsverletzung, § 42 Abs. 2 VwGO
Der Kläger muss geltend machen, durch den angegriffenen Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen (subjektiven) Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO.
Hinweis:
OVG NRW, Beschl. v. 7.12. 2020 – 8 E 563/20, juris Rn 6:
Ein Kläger wendet sich gegen die Errichtung eines Pollers in einer Straße an sich und die damit verbundenen Auswirkungen und will diesen wieder beseitigt haben. Dabei geht es ihm nicht um eine Durchfahrtmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen für sich selbst, weil er nicht über ein eigenes Kraftfahrzeug verfügt. Er macht vielmehr geltend, als Fußgänger an dieser Stelle gefährdet zu werden, weil Autofahrer den Poller überführen, den Bürgersteig zur Umfahrung nutzten und wegen des Pfostens regelmäßig gefährliche Wendemanöver durchführten. Für dieses Begehren steht ihm keine Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO zu. Die Verletzung eigener Rechte muss auf der Grundlage des Klagevorbringens möglich erscheinen. Diese Möglichkeit ist dann auszuschließen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können. Da der Kläger nicht Adressat der von ihm angefochtenen Errichtung des Pollers ist, kommt es darauf an, ob er sich für sein Begehren auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen kann, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm auch ihn als Dritten schützt (vgl. OVG NRW, Urt. v. 23.9.2020 – 8 A 1161/18, juris Rn 50 f., m.w.N.).
c) Widerspruchsverfahren (Anfechtungswiderspruch), § 68 VwGO
Die Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist – soweit noch gesetzlich vorgesehen – Sachurteilsvoraussetzung. In verschiedenen Bundesländern wird auf das Erfordernis eines Widerspruchsverfahrens – zumindest teilweise – verzichtet.
d) Klageantrag
Nach § 113 Abs. 1 VwGO wird im Rahmen einer Anfechtungsklage die vollständige oder teilweise Aufhebung des Verwaltungsakts und des etwaigen Widerspruchsbescheids beantragt.
e) Prüfungsschema
- Formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts (zuständige Behörde, Einhaltung von Verfahrensvorschriften, Begründung),
- Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage,
- zutreffende Tatsachenfeststellung,
- Verletzung subjektiver Rechte,
- Ermessensausübung.
f) Beispiele für Anfechtungsklagen
- Untersagung bestimmter Aktivitäten nach dem IfSG,
- Erhebung einer Vergnügungssteuer bei Geldspielgeräten,
- Baunachbarstreit,
- Untersagung der Vermittlung von Sportwetten.
2. Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO
Streitgegenstand einer Verpflichtungsklage ist der prozessuale Anspruch eines Klägers auf Verurteilung der Behörde, den abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakt zu erlassen. Ist die Sache nicht spruchreif, ist der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, § 113 Abs. 5 VwGO. Im Steuerrecht ist die Verpflichtungsklage in § 40 Abs. 1 FGO geregelt. Auch das Sozialgerichtsgesetz sieht eine Verpflichtungsklage in § 54 Abs. 1 SGG vor.
Hinweis:
OVG Lüneburg, Beschl. v. 4.12. 2020 – 10 LC 402/18, juris Rn 26:
In Literatur und Rechtsprechung wird die Frage, ob § 113 Abs. 4 VwGO auf die Verpflichtungsklage analoge Anwendung finden kann, unterschiedlich beurteilt. Hintergrund der Kontroverse ist, dass der mit dem Annexantrag verfolgte Anspruch ein künftiger Anspruch ist, da er erst entsteht, wenn die Behörde in Erfüllung der gerichtlichen Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren den bestandskräftigen Verwaltungsakt zumindest teilweise aufgehoben hat (vgl. auch VGH Hessen, Urt. v. 3.11.2010 – 7 B 1704/1...