1. Ausschluss durch Patientenverfügung
Gemäß § 1906a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB muss eine ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betroffenen notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Staatliche Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 und S. 2 GG können nach einer Entscheidung des BVerfG (FamRZ 2021, 1564) eine Zwangsbehandlung nicht rechtfertigen, wenn der Betroffene die in Rede stehende Behandlung im Zustand der Einsichtsfähigkeit durch eine Patientenverfügung ausgeschlossen hat und Dritte nicht gefährdet sind. Der Vorrang individueller Selbstbestimmung setzt voraus, dass der Betroffene seine Entscheidung mit freiem Willen und im Bewusstsein über ihre Reichweite getroffen hat. Die autonome Willensentscheidung kann aber nur soweit reichen, wie seine eigenen Rechte betroffen sind. Über Rechte anderer Personen kann er nicht disponieren. Geht ohne eine Maßnahme vom Betroffenen eine Gefährdung Dritter aus, so ist die Behandlung an den Grundsatz strikter Verhältnismäßigkeit gebunden. Es muss sichergestellt werden, dass die betroffenen Freiheitsrechte nicht mehr als unabdingbar beeinträchtigt werden.
2. Tragbarer Konsens der Notwendigkeit
Der BGH (FamRZ 2021, 1739 = MDR 2021, 1199 = FuR 2021, 612 m. Bearb. Soyka; hier: Elektrokonvulsionstherapie eines an Schizophrenie leidenden Betroffenen zur Ermöglichung einer neuroleptischen Behandlung) weist darauf hin, dass für die Notwendigkeit der Maßnahme ein tragfähiger medizinisch-wissenschaftlicher Konsens bestehen und der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen muss. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besteht weiterhin das Erfordernis, dass der drohende erhebliche Schaden durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann.
3. Keine ambulante Zwangsbehandlung
Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind nach § 1906a Abs. 1 Nr. 7 BGB ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in einem Krankenhaus zulässig.
Das BVerfG (NJW 2021, 3590 m. krit. Anm. Fölsch) hat die ohne vorherigen fachgerichtlichen Rechtsschutz eingelegte Rechtsschutzverfassungsbeschwerde eines Betroffenen gegen diese Vorschrift aus Gründen der Subsidiarität zurückgewiesen. Der behandelnde Facharzt hatte wegen Verweigerung der Medikamenteneinnahme die Einweisung in eine Klinik für erforderlich und das Betreuungsgericht eine verdeckte Beimischung der Arznei zu Speisen als Zwangsmedikation erachtet. Das BVerfG hat die aufgeworfenen Fragen zwar als klärungsbedürftig angesehen, jedoch keine diesbezüglichen Hinweise gegeben.
von RiAG a. D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach
ZAP F. 11 R, S. 143–160