1. Anwaltliche Tätigkeitsverbote
Die anwaltlichen Tätigkeitsverbote (§ 43a Abs. 4–6, § 45 BRAO, § 3 BORA) wurden im Zuge der am 1.8.2022 in Kraft getretenen „großen BRAO-Reform” vollständig neu gefasst. Hierüber wurde im letzten Berufsrechtsreport umfassend berichtet (vgl. Deckenbrock/Markworth, ZAP 2022, 106 f.; vgl. auch Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2023, 6 ff.). Das anwaltliche Tätigkeitsverbot in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO erfasst auch vorgelagerte berufliche Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder wissenschaftlicher Mitarbeiter in Kanzleien. Sind Referendare im Vorbereitungsdienst i.R.d. Ausbildung mit der Beratung oder Vertretung von Mandanten befasst, so ergibt sich das Tätigkeitsverbot für andere Mandanten in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse aus § 43a Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO. Der durch die „große BRAO-Reform” überarbeitete § 43a Abs. 5 S. 1 BRAO legt aber fest, dass für Referendare im Vorbereitungsdienst keine Sozietätserstreckung gilt, sie also nicht die Anwälte der sie nach dem Referendariat anstellenden Berufsausübungsgesellschaft mit umfassenden Tätigkeitsverboten infizieren. Hintergrund für die Ausnahme bei Referendaren ist, dass ihre Tätigkeit von vorneherein auf Zeit angelegt ist und sie nicht Teil der Berufsausübungsgesellschaft sind. Deshalb ist es ausreichend, wenn sie selbst einem Tätigkeitsverbot unterliegen. Zudem würde ein Tätigkeitsverbot den Berufseinstieg für Referendare, die an vielen Mandaten mitgearbeitet haben, nach Abschluss der Ausbildung erschweren (zum Ganzen BT-Drucks 19/27670, S. 166). Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften des Rechts der rechtsberatenden Berufe (BT-Drucks 20/3449) sieht darüber hinaus vor, die Sozietätserstreckung auch für solche Fälle abzuschaffen, in denen ein Tätigkeitsverbot auf einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter während des rechtswissenschaftlichen Studiums, nach Bestehen der ersten Staatsprüfung vor Beginn des Vorbereitungsdienstes oder bis zum Bestehen der zweiten Staatsprüfung beruht. Denn die Interessenlage in diesen Fällen sei mit derjenigen bei Referendaren im Vorbereitungsdienst und deren zukünftigen Arbeitgebern vergleichbar. Die Sozietätserstreckung sei auch nicht erforderlich, da wissenschaftliche Mitarbeiter vor Bestehen des zweiten Staatsexamens in einer Rechtsanwaltskanzlei nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt werden könnten, wohingegen ihnen die Vertretung von Mandanten nicht erlaubt sei (zum Ganzen BT-Drucks 20/3449, S. 30).
2. Verschwiegenheitspflicht
Die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO ist neben der Unabhängigkeit und dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen die wichtigste anwaltliche Grundpflicht. Folgerichtig hat der EuGH (EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – C-694/20; dazu Huff, LTO v. 9.12.2022) eine Richtlinienbestimmung für unwirksam erklärt, der zufolge Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Anwälte von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu befreien, um sie so zu verpflichten, aggressive, grenzüberschreitende Steuerplanungsgestaltungen an die Steuerbehörden zu melden (Art. 8ab Abs. 5 der RL 2011/16/EU). Artikel 7 der Grundrechte-Charta garantiere, dass Personen, die einen Anwalt kontaktieren, darauf vertrauen dürfen, dass – von Ausnahmefällen abgesehen – ihr Anwalt ohne ihre Zustimmung niemandem diese Kontaktaufnahme offenlegen wird. Die Richtlinienbestimmung greife ungerechtfertigt in die Charta ein, da in der Folge andere Beteiligte zwangsläufig von der Identität des unterrichtenden Rechtsanwalts, von dessen Einschätzung, dass die in Rede stehende Gestaltung meldepflichtig ist, und von der Tatsache, dass er zu diesem Thema konsultiert wurde, Kenntnis erlangen würden. Da bereits die Steuerpflichtigen selbst sowie andere Intermediäre, die nicht unter die Verschwiegenheitspflicht fallen, zur Meldung verpflichtet sind, sei grds. schon gewährleistet, dass die Steuerverwaltung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen informiert werden.
3. Sachlichkeitsgebot
Eine Entscheidung des OLG Köln (Urt. v. 13.4.2022 – 6 U 198/21, ZAP EN-Nr. 370/2022 [Ls.] m. Anm. Willerscheid, DStR 2022, 2702; Klein, GRUR-Prax 2022, 412) ergänzt die vorhandene Kasuistik zu Verstößen gegen das Sachlichkeitsgebot (§ 43a Abs. 3 BRAO). Die beteiligten Parteien bildeten eine Bürogemeinschaft, zwischen ihnen gab es jedoch zunehmend Spannungen, für die der jeweils andere verantwortlich gemacht wurde. Um sich gegenüber berufsrechtlichen Beanstandungen seiner Mitbürogemeinschafterin abzusichern, verfasste der Antragsgegner ein Schreiben an die Rechtsanwaltskammer, worin er die Antragstellerin – ohne sie namentlich zu nennen – als „paranoid veranlagte Kollegin” bezeichnete und begründete dies mit den „gezeigten paranoiden Verhaltensweisen der Kollegin”. Die Richter sahen darin, trotz eines vorhandenen Tatsachenkerns, eine Beleidigung i.S.v. § 185 StGB, da die Äußerungen in die Ehre und den sozialen Geltungsanspruch der Antragstellerin eingriffen. Mit dem Argument, dass er die Antragstelleri...