Dem Verurteilten ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO für das Verfahren über die Reststrafenaussetzung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder seine Unfähigkeit, sich selbst sachgerecht zu verteidigen, dies gebietet (hierzu ausführlich Burhoff/Hillenbrand, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3372 ff.) [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, EV])
Hinweis:
Hierbei kommt es ausschließlich auf die Schwierigkeiten des Vollstreckungsfalls an, wohingegen die Schwere der abgeurteilten Tat oder die Schwierigkeiten des Erkenntnisverfahrens außer Betracht bleiben (Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn 3382). Dies gilt insb. auch für die Dauer des noch zu vollstreckenden Strafrestes (OLG Celle, Beschl. v. 3.12.2019 – 2 Ws 352/19), sodass sich der Verurteilte nicht darauf berufen kann, er habe im Falle einer Ablehnung seines Antrags auf Reststrafenaussetzung eine (Rest-)Strafe von einem Jahr oder mehr zu verbüßen.
Zudem geht die Rechtsprechung davon aus, dass im Vollstreckungsverfahren in deutlich geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach der Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (BVerfG NJW 2002, 2773, 2774). Die Merkmale des entsprechend anzuwendenden § 140 Abs. 2 StPO sind einschränkend auszulegen (KG, Beschl. v. 5.11.2020 – 5 Ws 217/19). Regelmäßig kommt eine Beiordnung daher nur in Ausnahmekonstellationen von besonderem Gewicht oder besonderer Komplexität in Betracht (Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn 3386).
Diese Grundsätze setzt die Rechtsprechung konsequent um und verfährt mitunter recht restriktiv. So soll es für eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht genügen, dass der Verurteilte unter rechtlicher Betreuung steht und überdies die Justizvollzugsanstalt i.R.d. Verfahrens divergierende Prognoseeinschätzungen abgegeben hat, sofern die Gründe hierfür in vollzugstypischen Vorwürfen liegen (OLG Celle, a.a.O.).
Dagegen kann es einen die Beiordnung erforderlich machenden Ausnahmefall darstellen, wenn die Strafvollstreckungskammer erwägt, aufgrund des Ergebnisses eines Sachverständigengutachtens abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zu entscheiden; dies indiziert, dass die Sachlage nicht einfach gelagert ist (OLG Stuttgart, Beschl. v. 5.10.2005 – 4 Ws 328/15; OLG Hamm, Beschl. v. 14.9.2009 – 2 Ws 239/09). Auch kann es eine Pflichtverteidigerbestellung gebieten, wenn vor der Entscheidung über die Reststrafenaussetzung geklärt werden muss, ob zur Verbesserung der Sozialprognose eine Therapiemaßnahme angezeigt ist und welcher Art diese sein könnte (LG Amberg, Beschl. v. 9.11.2021 – 2 StVK 916/20). Gleiches gilt für schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen (OLG Hamburg, Beschl. v. 21.12.2017 – 2 Ws 206-207/17) oder wenn das gem. § 454 Abs. 2 StPO eingeholte Gutachten psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder auch kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung ein Verurteilter überfordert ist (OLG Naumburg, Beschl. v. 2.10.2013 – 1 Ws 591/13).