In welchem Maße es wahrscheinlich sein muss, dass der Verurteilte nicht wieder straffällig wird, ist nicht einheitlich zu beurteilen, sondern es sind je nach der Schwere der im Falle eines Bewährungsbruchs zu befürchtenden Straftaten unterschiedliche Anforderungen zu stellen (BGH NStZ-RR 2003, 200; KG, Beschl. v. 6.2.2020 – 5 Ws 215/19 m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2020 – 3 Ws 67/20; OLG Bamberg, a.a.O.)
Hiervon ausgehend muss die Aussicht auf ein künftig straffreies Verhalten etwa bei im Falle eines Rückfalls drohenden Tötungs-, Sexual-, Brandstiftungs- oder Raubdelikten größer sein als bei Straftaten geringer oder mittlerer Schwere (Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl. 2019, § 57, Rn 15). Gerade bei Tätern, die Gewaltdelikte begangen haben, ist besonders kritisch zu prüfen, ob die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung verantwortet werden kann (KG NStZ 2007, 706). Gleiches gilt für Taten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität (OLG Hamm, Beschl. v. 26.5.2020 – 4 Ws 86/20). Der Umstand, dass der erstmaligen Strafverbüßung ein Bewährungsbruch vorausgegangen ist, rechtfertigt hingegen noch keinen generell strengeren Beurteilungsmaßstab (BGH, a.a.O.).
Hinweis:
Bei der Prognoseentscheidung muss auch berücksichtigt werden, inwieweit einem noch bestehenden Rückfallrisiko durch Auflagen und Weisungen entgegengewirkt werden kann (SSW-StGB/Claus, 5. Aufl. 2021, § 57 StGB, Rn 14).
Der Verantwortbarkeit der Haftentlassung kann es auch entgegenstehen, wenn dem Verurteilten neue Straftaten in anderer Sache vorgeworfen werden. Derartige Taten sind auch dann prognostisch verwertbar, wenn sie noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen wurden (OLG Bamberg, Beschl. v. 16.3.2016 – 1 Ws 107/16; KG, Beschl. v. 9.12.2020 – 5 Ws 188/20). Dies verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1993 – 2 BvR 1706/02; OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.6.2021 – 1 Ws 66/21; OLG Hamm, Beschl. v. 7.11.2017 – 1 Ws 423/17).