1. Weisungsverstoß
Die Einhaltung der ihm erteilten Weisungen ist für den Verurteilten insb. deshalb von großer Bedeutung, weil ein Weisungsverstoß, ebenso wie eine neuerliche Straffälligkeit, gem. §§ 57 Abs. 5 S. 1, 56f StGB einen Grund für den Widerruf der Reststrafenaussetzung darstellen kann. Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie für den Widerruf einer bereits im Erkenntnisverfahren bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung.
Dies bedeutet insb., dass ein i.S.d. § 56 Abs. 1 Nr. 2 StGB gröblicher und beharrlicher Weisungsverstoß oder ein beharrliches Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers allein den Widerruf der Reststrafenaussetzung noch nicht rechtfertigt. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Verurteilte gerade hierdurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird. Der Verstoß muss zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten in einer kausalen Beziehung stehen; er stellt keine Strafe für den Weisungsverstoß dar (BVerfG NStZ-RR 2007, 338).
Hinweis:
Hierin liegt eine häufige Fehlerquelle; in zahlreichen Widerrufsbeschlüssen wird lediglich der Verstoß dargestellt, wohingegen eine nachvollziehbare Begründung für die aufgrund dessen angenommene Besorgnis neuer Straftaten fehlt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.1.2020 – 2 BvR 252/19).
Zudem muss die Weisung selbst rechtmäßig sein. Ist dies nicht der Fall, kann ein Widerruf nicht auf einen Verstoß gegen die Anordnung gestützt werden, und zwar unabhängig davon, ob sich der Verurteilte im Widerrufsverfahren auf deren Rechtswidrigkeit beruft oder nicht (OLG Bamberg, Beschl. v. 7.4.2017 – 22 Ws 13/17; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 119).
Hinweis:
Insbesondere bei Weisungen ist auf die Einhaltung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots zu achten. Diesem kommt im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften freiheitsgewährleistende Funktion zu. Die Anordnungen müssen deshalb klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein; insb. hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer oder gar ein Dritter die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, was von ihm verlangt wird und wann er mit einen Bewährungswiderruf zu rechnen hat (BVerfG, Beschl. v. 2.9.2015 – 2 BvR 2343/14; OLG Hamm, Beschl. v. 18.7.2017 – III.3 Ws 301/17; OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.5.2015 – 4 Ws 158/14). Dem genügen insb. die häufig anzutreffenden Regelungen, wonach sich der Verurteilte nach seiner Entlassung „an eine anerkannte Suchtberatungsstelle” zu wenden hat, nicht. Derartige Stellen muss das Gericht selbst bestimmen (OLG Hamm, a.a.O.)
2. Neuerliche Straffälligkeit
Gemäß §§ 57 Abs. 3 S. 1, 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht und hierdurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Dabei müssen die abgeurteilten und die in der Bewährungszeit begangenen Straftaten nicht vergleichbar sein (MüKOStGB/Groß/Kett-Straub, § 56f StGB, Rn 10). Die ursprünglich positive Erwartung wird vielmehr durch jede neue Straftat infrage gestellt, sofern diese nicht nur von völlig unerheblichem Gewicht ist, und selbst wenn der neue Tatrichter abermals eine Bewährungsstrafe verhängt, ist der Widerruf nicht ausgeschlossen (s. hierzu Burhoff/Kotz/Hillenbrand, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 1. Aufl. 2016, Teil A, Rn 355 ff.).
Hinweis:
Es führt aber nicht jede neue Straftat zwingend zum Widerruf. Selbst einschlägige Rückfalltaten stehen, jedenfalls wenn sie von geringerem Gewicht sind, einer neuerlichen günstigen Prognose nicht von vornherein entgegen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.6.2009 – StB 29/09; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.11.2001 – 2 Ws 222/01; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 11.8.2022 – 12 Qs 42/22, Fischer, § 56f StGB, Rn 8a m.w.N.).
Nicht immer hinreichend beachtet wird auch, dass der Widerruf kein Instrument zur Ahndung der neuerlichen Verfehlungen in der Bewährungszeit ist, sondern eine Berichtigung der ursprünglichen günstigen Prognose darstellt. Es genügt also nicht, lediglich die Begehung der neuen Tat festzustellen, sondern es muss im Widerrufsbeschluss auch hinreichend dargelegt werden, weshalb die einst positive Prognose nunmehr negativ ist.
Zudem verweist § 57 Abs. 5 S. 1 StGB auch auf § 56f Abs. 2 S. 1 StGB, sodass die Strafvollstreckungskammer immer auch zu prüfen hat, ob nicht mildere Maßnahmen als der Bewährungswiderruf wie etwa die Verlängerung der Bewährungszeit ausreichen. Ist dies der Fall, ist das Absehen vom Widerruf zwingend (Fischer, § 56f StGB, Rn 14).