1. Zuständigkeit
Zuständig für das Verfahren über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung ist nach § 462a Abs. 1 S. 1 StPO die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Wird er später in eine andere Vollzugsanstalt verlegt, berührt dies die bereits begründete örtliche Zuständigkeit der StVK nicht. Diese wirkt überdies auch dann fort, wenn nach einer Reststrafenaussetzung neuerliche Entscheidungen zu treffen sind (§ 462a Abs. 1 S. 2 StPO).
Mit der Reststrafenaussetzung befasst i.S.d. § 462a Abs. 1 S. 1 StPO ist die Strafvollstreckungskammer bereits dann, wenn der von Amts wegen zu beachtende maßgebliche Zeitpunkt des § 57 Abs. 1 StGB herannaht, auch wenn sie bis dahin untätig geblieben war (st. Rspr., BGH, Beschl. v. 13.10.2021 – 2 ARs 322/21 m.w.N.).
Hinweis:
Die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem von einem „Herannahen” des maßgeblichen Zeitpunkts nach § 57 StGB gesprochen werden kann, ist nicht immer ganz einfach, da es insoweit an einer „taggenauen” Rechtsprechung fehlt. Der BGH verlangt unter Hinweis auf das Interesse an einer sachgerechten Entlassungsvorbereitung, dass die Entlassung des Verurteilten bei Eintritt der Aussetzungsreife möglich ist (a.a.O.). Bei der Bemessung der hierfür erforderlichen Vorbereitungszeit ist auch ein möglicherweise durchzuführendes Beschwerdeverfahren zu berücksichtigten (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.5.2007 – 3 Ws 476/07).
2. Bestmögliche Sachaufklärung
Für die tatsächlichen Grundlagen der gerichtlichen Prognoseentscheidung gilt von Verfassung wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG. Dieses Gebot verlangt, dass das Gericht die Grundlagen seiner Legalprognose selbstständig bewertet, sich um eine breite Tatsachenbasis bemüht und sich so ein möglichst umfassendes Bild über den Verurteilten verschafft (BVerfG, Beschl. v. 4.6.2020 – 2 BvR 343/19).
Um dem hinreichend Rechnung zu tragen ist es insb. erforderlich, vor der Entscheidung über eine etwaige bedingte Entlassung eine aktuelle Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt einzuholen (KG, Beschl. v. 29.10.2020 – 5 Ws 143/20). Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann auch die Vernehmung von Anstaltspsychologen und Sozialarbeitern geboten sein (BVerfG, Beschl. v. 4.6.2020 – 2 BvR 343/19).
3. Mündliche Anhörung des Verurteilten
Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Vorher sind die Staatsanwaltschaft, die Vollzugsanstalt und der Verurteilte zu hören, letzterer mündlich (§ 454 Abs. 1 S. 3 StPO). Von der mündlichen Anhörung darf in den in § 454 Abs. 1 S. 4 StPO geregelten Ausnahmefällen abgesehen werden, insb. dann, wenn die Staatsanwaltschaft und die Justizvollzugsanstalt die Entlassung befürworten und das Gericht beabsichtigt, dem zu folgen.
Zudem darf ausnahmsweise auch dann von der mündlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Verurteilte ausdrücklich und eindeutig erklärt, er wolle nicht teilnehmen oder er sich ernsthaft weigert, sich vorführen zu lassen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 454, Rn 24 m.w.N.). Von einem Verzicht darf aber nicht schon dann ausgegangen werden, wenn der Verurteilte auf die Aufforderung des Gerichts, er möge binnen zehn Tagen eine mündliche Anhörung beantragen, nicht reagiert (OLG Hamm NStZ 2011, 119).
Hinweis:
Der Inhalt der mündlichen Anhörung, insb. die wesentlichen vom Verurteilten geltend gemachten Gesichtspunkte sowie ggf. auch die Ausführungen eines hinzugezogenen Sachverständigen, ist in einer Weise zu dokumentieren, die dem Beschwerdegericht eine Überprüfung der Entscheidung ermöglicht. Wird insoweit kein förmliches Protokoll angefertigt, genügt ein (aussagekräftiger) Vermerk (KG, Beschl. v. 29.10.2020 – 5 Ws 143/20).
4. Notwendige Verteidigung
Dem Verurteilten ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO für das Verfahren über die Reststrafenaussetzung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder seine Unfähigkeit, sich selbst sachgerecht zu verteidigen, dies gebietet (hierzu ausführlich Burhoff/Hillenbrand, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3372 ff.) [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, EV])
Hinweis:
Hierbei kommt es ausschließlich auf die Schwierigkeiten des Vollstreckungsfalls an, wohingegen die Schwere der abgeurteilten Tat oder die Schwierigkeiten des Erkenntnisverfahrens außer Betracht bleiben (Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn 3382). Dies gilt insb. auch für die Dauer des noch zu vollstreckenden Strafrestes (OLG Celle, Beschl. v. 3.12.2019 – 2 Ws 352/19), sodass sich der Verurteilte nicht darauf berufen kann, er habe im Falle einer Ablehnung seines Antrags auf Reststrafenaussetzung eine (Rest-)Strafe von einem Jahr oder mehr zu verbüßen.
Zudem geht die Rechtsprechung davon aus, dass im Vollstreckungsverfahren in deutlich geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach der Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (BVe...