Die EU (bzw. EWG/EG und auch der EWR) hat in den vergangenen rund 40 Jahren sechs Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien in Kraft gesetzt. Da könnte man meinen, dass die Abwicklung von Auslandsunfällen – auf dieser Basis – innerhalb Europas inzwischen rechtlich und praktisch unproblematisch geworden sein müsste.
Für die weit überwiegende Zahl der Sachschadensfälle dürfte dies zutreffen. Aber selbst reine Fahrzeugschäden können bekanntlich eine Reihe von Folgekosten nach sich ziehen. Diese sind bei Inlandsunfällen – nach dem großzügigen deutschen (Sach-)Schadensersatzrecht – weitgehend unstrittig. Ein Blick über die Schengen- und sonstigen Landesgrenzen zeigt jedoch, dass ein Verkehrsunfall in Lyon, Mailand oder Barcelona weiterhin finanzielle Nachteile für deutsche Geschädigte nach sich ziehen kann.
Auf der Grundlage der 6. KH-Richtlinie 2009/103/EG (die die fünf vorhergehenden Kfz-Richtlinien zusammengefasst und kodifiziert hat) können seit Jahren in Deutschland ansässige Schadensregulierungsbeauftragte gegnerischer (etwa französischer, italienischer oder spanischer) Auto-Haftpflichtversicherungen mit der Unfallabwicklung betraut werden. Sie müssen sich mit Schadensfällen in ihren Ländern (und mit deutschen Geschädigten) in deutscher Sprache befassen – allerdings grundsätzlich nach dem jeweiligen ausländischen Schadensrecht! Das heißt beispielsweise, dass in Frankreich keine außergerichtlichen Anwaltshonorare erstattet werden, in Italien Gutachterkosten und Wertminderung allenfalls prozessual durchsetzbar sind und in Spanien die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche gerade mal ein Jahr beträgt.
Insbesondere bezüglich der (Nicht-)Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in wichtigen Reiseländern (s. hierzu Nissen in DAR 2013, 568) besteht dringender EU-Regelungsbedarf, dem durch eine 7. KH-Richtlinie oder Modifikation der Richtlinie von 2009 entsprochen werden könnte. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Übernahme außergerichtlicher Anwaltskosten. Hier wird von manchen Gegnern einer Neuregelung schlicht auf die Möglichkeit verwiesen, Autofahrer mögen halt Rechtsschutzversicherungen abschließen. Gerade bei internationalen Verkehrsunfällen sind Geschädigte jedoch in Anbetracht des vielfach unbekannten ausländischen Rechts generell auf anwaltliche Vertretung angewiesen. Diese kann, etwa nach Unfällen in Ländern wie Frankreich und Spanien, ohne Rechtsschutz eine Menge Geld kosten.
Aber auch die innerhalb Europas national sehr stark voneinander abweichenden zivilrechtlichen Vorschriften über die Verjährung sollten, zumindest soweit sie im Bereich von weniger als einer Dreijahresfrist liegen, harmonisiert werden, ebenso die Regeln über deren Hemmung und Unterbrechung. Bestrebungen hierzu sind seit Jahren im Gange. Bereits 2007 hat das Europäische Parlament die Kommission zu entsprechenden Gesetzgebungsmaßnahmen aufgefordert. Auch die Organisation europäischer Schadensersatzanwälte (PEOPIL) hat der EU-Kommission Regelungsvorschläge unterbreitet.
Eine europaweit einheitliche Anhänger-Haftpflichtversicherung steht ebenfalls auf dem Wunschkatalog für eine neue oder modifizierte KH-Richtlinie. Bei den Europäischen Verkehrsrechtstagen (IEVR) stand dieses Thema zuletzt 2014 auf der Tagesordnung. Die EU-Kommission will möglichst noch 2016 eine Konsultation hierzu durchführen, denn die KH-Versicherung steht sowieso auf ihrem diesjährigen Arbeitsprogramm.
Angesichts der für Geschädigte großen tatsächlichen und finanziellen Bedeutung von Personenschäden hat das EU-Recht im Rahmen der Rom II-Verordnung (VO Nr. 864/2007) einige wesentliche Verbesserungen gebracht. Etwa indem alle relevanten Umstände im Aufenthaltsland des Verkehrsopfers, vor allem bei der Schmerzensgeldbemessung, zu berücksichtigen sind (Näheres hierzu bei Lafontaine ZAP F. 7, S. 909 ff. – in diesem Heft).
Eine enorme Erleichterung bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach Auslandsunfällen stellt die seit einigen Jahren gegebene Direktklagemöglichkeit am Wohnsitzgericht des (deutschen) Geschädigten dar. Wenn die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, findet nämlich das sog. Odenbreit-Urteil des EuGH v. 13.12.2007 Anwendung (i.V.m. der Europäischen Gerichtsstandsverordnung/EuGGVO). Danach kann am Heimatgerichtsstand des Verkehrsopfers gegen die ausländische Versicherung (wenn auch nicht gegen den Kfz-Halter und -Fahrer) geklagt werden.
Autor: Rechtsanwalt Hermann Neidhart, Neuried
ZAP 4/2016, S. 147 – 148