Die Experten des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstags haben zu Beginn dieses Jahres wieder zu einer Reihe aktueller verkehrsrechtlicher Probleme Stellung bezogen und Empfehlungen an den Gesetzgeber formuliert. Auf ihrer Tagung am 26. und 27. Januar in Goslar sprachen sie sich u.a. für die Schaffung eines umfassenden Radnetzes in Deutschland aus und rieten von der Einführung des geplanten Fahrverbots bei nicht verkehrsbezogenen Straftaten ab. Insgesamt nahmen die rund 2.000 Experten zu folgenden Punkten Stellung:
- Sicherheit des Radverkehrs
In Deutschland sollten durchgehende Radverkehrsnetze geschaffen werden. Dabei müsse die Radverkehrsinfrastruktur generell einfach, selbsterklärend und sicher gestaltet werden. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für eine zeitnahe Einführung geeigneter Fahrzeugassistenzsysteme (z.B. Lkw-Abbiegeassistenten, Pkw-Notbremsassistenten, Abbiege-Geschwindigkeitsbegrenzer) zur Verhinderung von Radverkehrsunfällen einzusetzen. Auch wurde empfohlen, die Überwachung und Sanktionierung von Verkehrsverstößen von und gegenüber Radfahrern zu intensivieren.
- Polizeiliche Verkehrsüberwachung
Die Experten appellierten an die Bundesländer, der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei künftig auch im Interesse der inneren Sicherheit wieder mehr Bedeutung zuzumessen. Dies gelte in erster Linie für die Verkehrsüberwachung, umfasse aber auch die sichtbare Polizeipräsenz im Straßenverkehr und die Aufnahme aller Verkehrsunfälle durch die Polizei. Dringend abgeraten wurde davon, Geschwindigkeits- und Abstandsmessung, Messauswertung sowie Ermittlung von sanktionsrelevanten Sachverhalten auf private Anbieter solcher Dienstleistungen zu übertragen.
- Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe
Mit großer Mehrheit sprachen sich die Experten gegen die Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe bei allgemeiner Kriminalität aus. Soweit das Vorhaben damit begründet werde, anderenfalls zu vollstreckende Freiheitsstrafen abzuwenden, würde dies zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Privilegierung der Fahrerlaubnisinhaber führen. Stattdessen solle vielmehr auch bei Vermögenden das Potential der Geldstrafe durch eine gründliche Ermittlung der Vermögensverhältnisse ausgeschöpft werden.
- Eignungsprüfungen für Senioren
Die derzeit diskutierte Einführung genereller, obligatorischer und periodischer Fahreignungsüberprüfungen für ältere Kraftfahrer lehnten die Experten ab. Dafür gebe es zzt. keine Grundlage, zunächst müssten Politik und Forschung eine notwendige Datengrundlage hinsichtlich einer Risikoabschätzung schaffen. Vielmehr wurde vom zuständigen Arbeitskreis vorgeschlagen, freiwillige Instrumente zur besseren Einschätzung der eigenen Fahrkompetenz zu entwickeln und wissenschaftlich zu evaluieren, etwa eine qualifizierte Rückmeldefahrt, deren Ergebnis ausschließlich dem Betroffenen mitgeteilt wird. Verbessert werden sollte auch die anlassbezogene Fahreignungsprüfung, insbesondere zur Vermeidung von Mehrfachbegutachtungen.
- Smartphone-Nutzung während der Fahrt
Die Experten waren sich einig, dass die vielfache Missachtung des Handyverbots am Steuer ein Problem darstellt. Zwar fehlen nach wie vor belastbare Zahlen zur Unfallrelevanz, jedoch sollte in jedem Fall auf eine gesellschaftliche Ächtung der Nutzung von elektronischen Geräten während der Fahrt hingewirkt werden. Bereits in der schulischen Verkehrserziehung müsse die Ablenkung im Straßenverkehr thematisiert werden. Darüber hinaus sollten Wiederholungstäter strenger bestraft und mittelfristig technische Maßnahmen entwickelt werden, die die Nutzung von Kommunikationsgeräten am Steuer wirksam unterbinden.
- Medizinische Begutachtung von Unfallopfern
Die Experten sprachen sich in Goslar für eine Standardisierung medizinischer Gutachten zur Sicherung und Verbesserung der Qualität aus. Besonders erheblich verletzte Verkehrsteilnehmer seien zur Geltendmachung ihres Schadens auf unabhängig erstellte und qualifizierte Gutachten angewiesen. Daher sollten allgemeingültige Standards von Vertretern der Anwaltschaft, der Versicherungswirtschaft, der Ärzteschaft und der Justiz erarbeitet werden. Die Versicherungswirtschaft und die Anwaltschaft wurden aufgefordert, sich auf eine gemeinsame Formulierung der Schweigepflichtentbindungserklärung zu verständigen.
- Abgaskrise und Verbraucherschutz
Mit Blick auf den VW-Abgasskandal empfahlen die Experten, durch eine Musterfeststellungsklage den Rechtsschutz der Fahrzeugkäufer zu verbessern. Für die einzelnen Geschädigten sei eine weitgehend kostenlose und verjährungshemmende Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage zu schaffen. Im europäischen und nationalen Typgenehmigungs- und Kfz-Zulassungsrecht solle darauf hingewirkt werden, dass Regelungen auch als Schutzgesetze im deliktsrechtlichen Sinne ausgestaltet werden, um Geschädigten direkte Ansprüche gegen Hersteller zu ermöglichen. Auch sollten die Rechtsfolgen einer Rückrufaktion gesetzlich geregelt werden.
[Quelle: Verkehrsgerichtstag]