1. Verfahrensrechtliche Regelungen

a) Allgemeines

Das Rehabilitationssystem der Bundesrepublik Deutschland ist hochspezialisiert. Neben dem SGB IX enthalten allein sieben Bücher des Sozialgesetzbuchs (SGB II, III, V, VI, VII, VIII, XI und XII) sowie Gesetze über das soziale Entschädigungsrecht u.a. Regelungen über Leistungen zur Rehabilitation (vgl. nur §§ 5, 6 SGB IX – Leistungsgruppen und Rehabilitationsträger). Daran hat weder die Einführung des SGB IX im Jahr 2001 noch das BTHG etwas geändert. Allerdings hat es bereits der Gesetzgeber des SGB IX für notwendig erachtet, dem spezialisierten System auf Leistungsebene für alle Rehabilitationsträger geltende Verfahrensvorschriften entgegenzusetzen, die z.B. der raschen Zuständigkeitsklärung sowie der Koordination und Kooperation der Leistungsträger dienen (BT-Drucks 14/5074, S. 95 f.). Die Regelung des § 14 SGB IX a.F. über die Zuständigkeitsklärung bildet hierfür nur ein Beispiel, die Ausführung von Leistungen durch ein "trägerübergreifendes persönliches Budget als Komplexleistung" nach § 17 SGB IX a.F. ein anderes.

Die praktischen Erfahrungen haben aber gezeigt, dass weiterhin Optimierungspotential bei der Planung und Koordination von Leistungen und des Verfahrens besteht. Deshalb erfahren im BTHG zahlreiche allgemeine Regelungen des SGB IX (Teil 1 Kapitel 1 bis 6) Konkretisierungen und Änderungen, die insbesondere das Verhältnis der einzelnen Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX n.F.) zueinander und ihre Pflichten gegenüber den Leistungsberechtigten im Verfahren betreffen. Insbesondere gelten seit dem 1.1.2018 die Regelungen zur Einleitung der Rehabilitation, zur Erkennung und Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs und der Koordination der Leistungen (Teil 1 Kapitel 2 bis 4 SGB IX n.F.) uneingeschränkt für alle Träger (§ 7 Abs. 2 SGB IX n.F.) und können auch durch Landesrecht nicht abweichend bestimmt werden.

 

Praxishinweis:

Für die anwaltliche Praxis dürften zunächst die neuen Beratungsstrukturen von besonderer Bedeutung sein, nämlich neben der Beratung durch Ansprechstellen der Rehabilitationsträger selbst (§ 12 SGB IX n.F.), die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX n.F.), die bereits im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen eingreifen soll, und das Bedarfsfeststellungs- und Teilhabeplanverfahren (§ 13 SGB IX n.F., §§ 19 ff. SGB IX n.F.).

b) Neue Beratungsstrukturen

Mit dem Bundesteilhabegesetz werden die "Gemeinsamen Servicestellen" spätestens zum 31.12.2018 abgeschafft (§ 241 Abs. 7 SGB IX n.F.). Die Verbreitung von Informationsangeboten wird in Zukunft von "Ansprechstellen" bei jedem Rehabilitationsträger sichergestellt.

aa) Ansprechstellen

Die Aufgabe von Ansprechstellen (§ 12 SGB IX n.F.) ist die Vermittlung von Informationsangeboten an Leistungsberechtigte, Arbeitgeber und andere Rehabilitationsträger. Sie sollen über Inhalte, Ziele und Verfahren bezüglich der Leistungen zur Teilhabe beraten und außerdem über das Persönliche Budget und andere Beratungsangebote einschließlich der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung informieren.

bb) Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX)

Neben dem alle Rehabilitationsträger verpflichtenden Beratungsauftrag (§ 12 SGB IX n.F., § 14 SGB I) besteht seit 1.1.2018 die Möglichkeit einer ergänzenden und unabhängigen Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX n.F.). Für die Dauer von zunächst fünf Jahren mit jährlich 58 Mio. Euro durch den Bund gefördert, sollen von Rehabilitationsträgern und Leistungserbringern unabhängige Stellen eingerichtet werden, die ohne finanzielle Eigeninteressen niedrigschwellige Beratungsleistungen hinsichtlich der Rehabilitations- und Teilhabeleistungen vor der eigentlichen Antragstellung erbringen. Insbesondere das sog. Peer Counceling, also eine Beratung von behinderten Menschen für behinderte Menschen, soll damit gestärkt bzw. ermöglicht werden (§ 32 Abs. 3 SGB IX n.F.). Behinderte Menschen werden damit zu Experten "in eigener Sache". Um einen möglichst einheitlichen Qualitätsstandard der Beratung zu sichern, hat der Bund eine Förderrichtlinie erlassen, die bestimmte Mindestanforderungen an die Ausstattung der Beratungsstellen und das einzuhaltende Verfahren enthält (Förderrichtlinie vom 17.5.2017). Damit das Angebot bei den Betroffenen ankommt, werden die Rehabilitationsträger verpflichtet, im Rahmen ihrer eigenen Beratungspflichten auf die Möglichkeit der unabhängigen Teilhabeberatung hinzuweisen (§ 32 Abs. 2 S. 2 SGB IX n.F.).

 

Praxishinweis:

Im Vorfeld eines Rehabilitationsantrags sollte mit dem Ziel der passgenauen Antragstellung auf die Möglichkeit der unabhängigen Teilhabeberatung hingewiesen werden.

c) Bedarfsfeststellungs- und Teilhabeplanverfahen

aa) Standardisierte Bedarfsfeststellung

Entscheidend für die Ermittlung der "richtigen" Teilhabeleistungen ist eine genaue Bedarfsermittlung mit dafür geeigneten und – das ist neu: – einheitlichen Instrumenten nach Maßgabe des § 13 SGB IX n.F. Dazu zählen systematische Arbeitsprozesse wie beispielsweise Erhebungen, Analysen und Dokumentationen und standardisierte Arbeitsmittel wie z.B. funktionelle Prüfungen (Sehtest, Intelligenztest, Hörtest), Fragebögen und IT-Anwendungen, die trägerübergreifend ausgestaltet sind. Nur unter diesen Voraussetzungen ist letztlich ein ...

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