Bisher war der Fall, dass das gerichtliche Faxgerät nicht empfangsbereit ist, relativ klar. Solange wegen des Risikos der anderweitigen Belegung des Faxgeräts nicht so spät mit der Übermittlung begonnen worden war, dass keine Zeitreserve eingeplant war, war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Mit dieser Rechtsprechung bricht das LG Krefeld in seinem Beschluss vom 10.9.2019 – 2 S 14/19, wenn es meint, es sei dann auch ohne qualifizierte elektronische Signatur eine Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vorzunehmen. Das LG macht es sich zu einfach, wenn es feststellt, dass § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO explizit die Einreichung über das beA als sicheren Übermittlungsweg definiert. Eine (ausreichende) einfache Signatur bestehe in der Namenswiedergabe der verantwortenden Person am Ende des Textes des elektronischen Dokuments; die verantwortende Person müsse lediglich Inhaber des beA sein.
Das LG beantwortet damit lediglich die Frage, ob es neben der Faxeinreichung noch eine alternative Übermittlung gegeben hätte. Die sich stellende Frage wäre aber gewesen, ob es ein Verschulden i.S.v. § 233 ZPO darstellt, im Falle des bei Gericht gestörten Faxanschlusses keine weitere Übermittlung per beA zu versuchen.
Richtigerweise hätte diese Frage verneint werden müssen, denn das BVerfG hat mehrfach entschieden, dass die Anforderungen an die Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannt werden dürfen. Besonders bei Fehlern des Gerichts sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben (BVerfG NJW 2004, 2887). Fehler aus der Sphäre des Gerichts dürfen bei rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung nicht über die Begründung besonderer Prüfungspflichten auf den rechtsschutzsuchenden Bürger abgewälzt werden (BVerfG NJW 1995, 711). Weiter entspricht es einer langen Rechtsprechungslinie, dass Fristversäumungen, die auf Verzögerungen der Entgegennahme der Sendung durch das Gericht beruhen, der Partei nicht angelastet werden dürfen (BVerfG NJW 1980, 580 m.w.N.). Ebenso liegt eine verfassungswidrige Erschwerung des Zugangs zum Gericht vor, wenn von einem Rechtsuchenden oder seinem Prozessbevollmächtigten, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Fax zu übermitteln, beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen verlangt wird, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (BVerfG NJW 2001, 3473).
Es mag noch einsichtig sein, dass von einem Prozessbevollmächtigten verlangt werden kann, dass er eine Beschwerde per Fax beim Beschwerdegericht einlegt, wenn es ihm nicht gelingt, eine entsprechende Faxverbindung zum Prozessgericht herzustellen (BGH NJW 2012, 3516 f.), weil dieser Fall nicht anders behandelt werden kann, als wenn ein Gericht mehrere Faxnummern angibt, eine davon aber gestört ist – aber die angenommene Verpflichtung zur Nutzung eines anderen Übertragungsmediums, das zudem erst zum 1.1.2019 verbindlich (zur passiven Benutzung) eingeführt wurde, überspannt die Sorgfaltsanforderungen, denn sie verlagert die Verantwortlichkeit für den Fehler einseitig in die Sphäre des Bürgers.
Über die Schwierigkeiten mit dem beA in der praktischen Anwendung soll hier nicht berichtet werden, da sie jeder Anwalt selbst kennt. Nur soviel:
Wenn Schriftstücke von Seiten des Gerichts über das beA mit einem Informationsblatt, "Wie fülle ich ein Empfangsbekenntnis aus", übermittelt werden müssen, da Empfangsbekenntnisse sonst massenweise gar nicht ausgefüllt werden, zeigt dies die flächendeckende mangelnde Vertrautheit mit dem beA, ggf. sogar die Benutzerunfreundlichkeit des Mediums insgesamt.
Das LG Krefeld setzt sich mit dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungslinie nicht auseinander, ebensowenig wie das OLG Dresden in seinem Beschluss vom 29.7.2019 (ZAP EN-Nr. 574/2019 = NJW 2019, 3312). Dieser Fall zeigt, wie schon der Fall der blassblauen Unterschrift (Geipel, Kolumne ZAP 2019, S. 651), dass bei der Abwägung der entscheidenden Kriterien für eine Wiedereinsetzung, nämlich einerseits die Rechtssicherheit und andererseits die materielle Gerechtigkeit i.V.m. der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, letzteres zu oft nicht beachtet wird.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Andreas Geipel, München
ZAP F., S. 177–178