a) Allgemeines
Nach § 244 Abs. 6 S. 1 StPO erfolgt die Ablehnung eines Beweisantrags durch Gerichtsbeschluss (Burhoff, HV, Rn 970 ff.). Das Gericht ist verpflichtet, den Beschluss unter Bezug auf die einschlägigen Ablehnungsgründe des Abs. 3 (vgl. V 3) zu begründen. Davon rückt die StPO jetzt in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO für einen Fall ab.
Hinweis:
Sogenannte Beweisersuchen mit dem Ziel der "Prozessverschleppung" (zum Begriff V 4 b) müssen jetzt nicht mehr durch förmlichen Gerichtsbeschluss nach § 244 Abs. 6 S. 1 StPO beschieden werden. Denn die StPO geht in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO nun davon aus, dass es sich bei solchen "Beweisersuchen" nicht um einen Beweisantrag i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO handelt, der förmlich beschieden werden müsste.
b) Eingeschränkter Begriff der Prozessverschleppung
Die Begriffsmerkmale der Prozessverschleppungsabsicht waren bisher in der StPO nicht bestimmt, sondern sind durch die Rechtsprechung (des BGH) ausgebildet worden (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1014 ff. m.w.N.). Die Rechtsprechung des BGH ging/geht davon aus, dass Prozessverschleppungsabsicht anzunehmen war/ist, wenn die beantragte Beweiserhebung nach Überzeugung des Gerichts nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen konnte und der Antragsteller den Beweisantrag ausschließlich zum Zwecke der Verzögerung des Verfahrens gestellt hat (Burhoff, HV, Rn 1015 ff. m.w.N.). Erforderlich war eine wesentliche Verzögerung, wobei in der Rechtsprechung bis zuletzt nicht klar entschieden war, was unter dem Begriff der "wesentlichen Verzögerung" zu verstehen war (Burhoff, HV, Rn 1017 m.w.N.).
§ 224 Abs. 6 S. 2 StPO enthält nun als Bestimmung für den Begriff der Verfahrensverzögerung, dass "die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt". Entfallen bzw. nicht übernommen worden ist aus der Rechtsprechung des BGH das objektive Merkmal, dass die verlangte Beweiserhebung geeignet ist, den Abschluss des Verfahrens "wesentlich" oder "erheblich" zu verzögern. Begründet wird dies damit, dass "dieses im Einzelnen unklare Erfordernis einer objektiv erheblichen Verfahrensverzögerung ... in der Praxis dazu [führt], dass der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht trotz Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen häufig nicht von den Gerichten angenommen werden kann" und dem Ablehnungsgrund deshalb in der Gerichtspraxis nur eine geringe Bedeutung zukomme (zur Begründung vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 35). In § 244 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 StPO ist ausdrücklich klargestellt, dass ein Beweisersuchen in Prozessverschleppungsabsicht auch angenommen werden kann, wenn der Antragsteller in einem Motivbündel neben dem Ziel der Verfahrensverzögerung auch ein oder mehrere weitere verfahrensfremde(s) Ziel(e) verfolgt. Die Prozessverschleppungsabsicht muss also nicht das einzige Motiv für das Beweisersuchen sein.
Hinweise:
Für die Antragstellung gilt im Hinblick auf die Voraussetzungen der Prozessverschleppungsabsicht in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO:
- Bei "spät" im Verfahren gestellten Anträgen sollte der Verteidiger nach Möglichkeit immer darlegen, warum sie "so spät" gestellt werden bzw. warum sie nicht eher gestellt werden konnten.
- Im Hinblick auf das Merkmal "... nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen kann" sollte dargelegt werden, welches (sinnvolle) (Beweis-)Ziel mit dem Antrag verfolgt wird.
- Das gilt zugleich auch im Hinblick auf das Merkmal "... Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt". Denn aus einem "sinnvollen Beweisziel" kann sich nie die Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung ergeben. Das hat nichts damit zu tun, dass das Beweisziel ggf. nicht erreicht worden ist.
Durch entsprechende Antragsbegründung wird der Vorsitzende/das Gericht gezwungen, die ihnen obliegende Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) bei der Bescheidung des Antrags stärker in den Blick zu nehmen.
c) Verfahren der Ablehnung
Die Neuregelung hat nicht zur Folge, dass entsprechende "Beweisersuchen" vom Gericht einfach übergangen werden können/dürfen. Vielmehr gilt (dazu BT-Drucks 19/14747, S. 35):
- Die Ersuchen müssen (zunächst) vom Vorsitzenden nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO beschieden werden. Ein formeller Gerichtsbeschluss ist nicht erforderlich.
- Ob die Voraussetzungen des § 244 Abs. 6 S. 2 StPO gegeben sind, prüft der Vorsitzende zunächst im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis (dazu Burhoff, HV, Rn 3152 ff.).
- Lehnt der Vorsitzende das Ersuchen ab, ist gegen die Entscheidung des Vorsitzenden eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO möglich.
Hinweis:
Die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO wird der Verteidiger auf jeden Fall erheben.
- Über die Beanstandung entscheidet das Gericht "in freier Würdigung" (vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 35).
- Der Verteidiger wird, wenn auch das Gericht das Ersuchen ablehnt, ggf. Gegenvorstellung erheben müssen und darlegen, warum keine Verschleppungsabsicht vorliegt. Allerdings kann der insoweit...