Änderungen im Überblick:
- Norm: § 255a StPO
Regelungsgehalt:
- Folgeänderung der Änderung des § 58a StPO (s. dazu ZAP F. 22, S. 1003 ff.)
- Gegebenenfalls Einschränkung der Zulässigkeit der Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung
- Verteidigerstrategie: Gegebenenfalls Beanstandung der Vorführung
1. Neuregelung
Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 58a StPO – Stichwort: Videovernehmung im Ermittlungsverfahren – auf die Vernehmung von erwachsenen (potenziellen) Opfern eines Sexualdelikts hat zu Folgeänderungen bei § 255a Abs. 2 StPO, der die Vorführung einer Bild-Ton-Aufnahme (BTA) in der Hauptverhandlung regelt (vgl. dazu eingehend Burhoff, HV, Rn 3700 ff. m.w.N.), geführt. Die Zulässigkeit einer vernehmungsersetzenden Vorführung einer BTA gem. § 255a Abs. 2 StPO ist auf die Vernehmungen von erwachsenen Opfern eines Sexualdelikts erweitert worden.
2. Zulässigkeit der Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung (§ 255a Abs. 2 S. 1 StPO)
a) Erweiterung des Anwendungsbereichs
Nach § 255 Abs. 2 S. 2 StPO gilt die Regelung des § 255a StPO jetzt auch für erwachsene "Verletzte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j des Strafgesetzbuches )".
Hinweise:
Die Verletzten unter 18 Jahren werden nach wie vor von § 255a Abs. 2 S. 1 StPO erfasst.
An den sonstigen Voraussetzungen hat sich durch die Neuregelung nichts geändert.
Ebenso haben sich hinsichtlich der Anordnung der Vorführung der BTA keine Änderungen ergeben. Die Anordnung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden (Burhoff, HV, Rn 3715). Dessen Anordnung kann der Verteidiger nach § 238 Abs. 2 StPO beanstanden (Burhoff, a.a.O.).
b) Widerspruch des Zeugen im Ermittlungsverfahren
Neu ist (auch), dass die BTA in der Hauptverhandlung dann nicht vorgeführt werden darf, wenn der Zeuge im Ermittlungsverfahren nach seiner Vernehmung mit der Vorführung der BTA in der Hauptverhandlung nicht einverstanden ist (zur Kritik u.a. die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 12 f. unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019-30.pdf ). Dann kann er unmittelbar nach der Vernehmung der Vorführung widersprechen.
Der Vorführung der Aufzeichnung in der Hauptverhandlung steht aber nur ein zeitnah vom Zeugen im Ermittlungsverfahren erklärter Widerspruch entgegen. Das Gesetz formuliert mit "unmittelbar". Es steht also nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang nach der Vernehmung ("unmittelbar") im Belieben des Zeugen, ob seine Aussage bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ggf. vernehmungsersetzend gem. § 255a StPO vorgeführt werden kann.
Hinweise:
Der rechtzeitig erklärte Widerspruch schließt die vernehmungsersetzende Vorführung der BTA aus. Ausgeschlossen ist aber nur die vernehmungsersetzende Vorführung der BTA. Auch nach der Neufassung des § 255a Abs. 2 StPO ist es zulässig, ergänzend zur Vernehmung des Zeugen oder der Vernehmungsperson die Videoaufzeichnung ganz oder teilweise vorzuspielen. Dies ist durch die Aufklärungspflicht häufig geboten.
Erklärt der Zeuge seinen Widerspruch ggf. erst in der Hauptverhandlung, ist das verspätet und unbeachtlich und steht somit einer vernehmungsersetzenden Vorführung der BTA nicht entgegen. Etwas anderes wird gelten, wenn der Zeuge vom vernehmenden Richter im Ermittlungsverfahren nicht oder nicht ausreichend über die Möglichkeit des Widerspruchs belehrt worden ist.