Änderungen im Überblick:
- Normen: §§ 397a, 397b StPO
Regelungsgehalt:
- Erweiterung der Privilegierungstatbestände in § 397a StPO
- Einführung einer sog. gemeinschaftlichen Nebenklage in § 397b StPO
- Verteidigerstrategie: Antragstellung
1. Neuregelung
Das Gesetz hat in § 397a Nr. 1 und Nr. 1 Buchst. a StPO die sog. Privilegierungstatbestände erweitert (vgl. dazu VIII 2). Außerdem ist, was schon länger gefordert und auch geplant war, in § 397b StPO das Institut der sog. gemeinschaftlichen Nebenklage eingeführt worden (vgl. sogleich VIII 3).
2. Erweiterung der Privilegierungstatbestände
Beim Erlass des "50. Strafrechtsänderungsgesetzes – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung" vom 4.11.2016 (BGBl I, S. 2460) hatte man übersehen, dass infolge der Änderungen in § 177 StGB die besonders schweren Fälle des § 177 StGB, die sich nur auf die neuen Grundtatbestände der §§ 177 Abs. 1 und 2 StGB beziehen, nicht unter die in § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO a.F. genannten Verbrechen fallen. Nach der Rechtslage hatten in diesen Fällen daher die Opfer keinen Anspruch auf privilegierte Bestellung eines Rechtsbeistands. In § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist nun durch das Gesetz der Katalog der Straftaten zur privilegierten Bestellung eines Beistands auf die besonders schweren Fälle eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 StGB erweitert worden. Dies betrifft insb. Opfer von Vergewaltigungen, welche nur einen der Grundtatbestände der § 177 Abs. 1 und 2 StGB erfüllen.
Der Kreis der nach § 397a Nr. 1 Buchst. a StPO privilegierten Nebenkläger ist ebenfalls um die Opfer einer Straftat nach § 177 Abs. 6 StGB erweitert worden. Insoweit handelt es sich um eine Folgeänderung zur Erweiterung des Bestellungsanspruchs bestimmter Nebenkläger gem. § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO. Und: Infolge der Anpassung des Katalogs für die Nebenklage in § 397a Nr. 1 und 1 Buchst. a StPO ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch der Katalog des § 80 Abs. 3 S. 1 JGG für die Nebenklage gegen Jugendliche um Vergehen nach § 177 Abs. 6 StGB mit dem § 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 JGG erweitert worden.
3. Gemeinschaftliche Nebenklage (§ 397b StPO)
a) Allgemeines
In § 397b StPO ist jetzt ausdrücklich die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Nebenklagevertretung vorgesehen. Das soll u.a. der Verfahrensvereinfachung dienen (s. auch BT-Drucks 19/14747, S. 38). Die Neuregelung knüpft an die bisherige Rechtsprechung an, die das Verbot der Mehrfachverteidigung gem. § 146 StPO nicht auch als ein Verbot der Mehrfachvertretung angesehen hat (wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn 4576 ff., 4583 m.w.N.).
b) "Bündelungsvoraussetzungen" (§ 397b Abs. 1 StPO)
Die gemeinschaftliche Nebenklagevertretung setzt nach § 397b Abs. 1 S. 1 StPO voraus, dass die Nebenkläger gleichgelagerte Interessen verfolgen. Gleichgelagerte Interessen werden nach § 397b Abs. 1 S. 2 StPO i.d.R. bei Nebenklägern anzunehmen sein, die nahe Angehörige desselben Getöteten (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) sind. Dies wird insb. in den Fällen in Betracht kommen, in denen sich mehrere minderjährige Kinder eines Getöteten als Nebenkläger anschließen. Gleichgelagerte Interessen i.S.d. Neuregelung setzen keine Interessensgleichheit oder vollständige Einigkeit der Nebenkläger voraus.
Hinweis:
Es handelt sich insoweit aber nur um ein nicht abschließendes Regelbeispiel. Gleichgelagerte Interessen sind auch außerhalb von Tötungsdelikten und unabhängig von Verwandtschaftsbeziehungen denkbar, etwa bei Großschadensereignissen oder Umweltdelikten. Die Kriterien für das Vorliegen gleichgelagerter Interessen sind anhand der jeweiligen Umstände zu ermitteln.
§ 397b Abs. 1 S. 1 StPO ist als Kann-/Ermessens-Vorschrift ausgestaltet. Das Gericht hat auf der Rechtsfolgenseite sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen. Insoweit gilt:
Hinsichtlich des Entschließungsermessens, also der Frage, ob die Mehrfachvertretung überhaupt in Betracht zu ziehen ist, kann/muss das Gericht neben der Interessenlage der Nebenkläger weitere Gesichtspunkte berücksichtigen, wie die Wahrung der Rechte des Angeklagten, den Resozialisierungsgedanken oder die voraussichtliche Dauer und Komplexität des Verfahrens. Das Entschließungsermessen umfasst auch die Frage, ob die Nebenkläger ggf. in Gruppen einzuteilen sind, und die Einteilung der Gruppen von Nebenklägern (vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 39 f.). Es wird sich insoweit an den gleichgelagerten Interessen der Nebenkläger orientieren.
Auch das sog. Auswahlermessen hinsichtlich des Nebenklagevertreters liegt beim Gericht. Es hat die Auswahl des anwaltlichen Vertreters nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Sachliche Auswahlkriterien können z.B. sein: der Wille der (Mehrheit der) Nebenkläger, der Zeitpunkt des Bestellungs- und Beiordnungsantrags (Prioritätsprinzip), die Ortsnähe des Kanzleisitzes des potenziellen Nebenklagevertreters zum Gerichtsort oder etwaige Verhinderungen infolge von Terminkollision des vorgeschlagenen Nebenklagevertreters.
c) Verfahren der Bestellung/Beiordnung (§ 397b Abs. 1 und 2 StPO)
Über die Bestellung/Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters entscheidet gem. § 396 Abs. 1 S. 1 StPO das Gericht, nicht etwa der Vorsitzende allein.
Bevor das Gericht über die Bestellung oder Beiordnung eines gemeinschaftlichen Neben...