I. Einleitung
Der Verf. hat in ZAP 2022, F. 21, 357 (in der Reihe: Basiswissen) über das berichtet, „was der anwaltliche Berufsanfänger vom Bußgeldverfahren wissen muss”. Als Rechtmittel ist im Bußgeldverfahren in den §§ 79 ff. OWiG die Rechtsbeschwerde zum OLG/BGH vorgesehen. Die damit zusammenhängenden Fragen sollen in diesem Basiswissen-Beitrag vertieft werden (wegen Einzelheiten Junker in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 3020 ff. [im Folgenden Burhoff/Bearbeiter, OWi] und Junker in: Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl. 2016, Teil A Rn 1030 ff. [im Folgenden Burhoff/Kotz/Bearbeiter, Rechtsmittel]).
II. Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 79 Abs. 1 OWiG)
Die Rechtsbeschwerde ist grds. ohne besondere Zulassung nur in den enumerativ in § 79 OWiG aufgezählten Fällen zulässig. Das sind folgende Fälle:
- Wertgrenze von 250 EUR (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG), wenn gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als 250 EUR festgesetzt worden ist; wobei, wenn der Betroffene im Rahmen einer Tat im prozessualen Sinne mehrere Handlungen begangen hat, die mit Einzelgeldbußen geahndet werden, z.B. mehrere Verkehrsverstöße bei einer Fahrt mit dem Pkw, bei unbeschränkt eingelegter Rechtsbeschwerde, die Summe der ausgeworfenen Geldbußen maßgebend ist (wegen der Einzelh. Burhoff/Junker, OWi, Rn 3201 ff.; Burhoff/Kotz/Junker, Rechtsmittel, Teil A Rn 1382).
- Verhängung von Nebenfolgen (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG), wozu das Fahrverbot nach § 25 StVG, das Verbot der Jagdausübung und die Entziehung des Jagdscheins gehören, nicht jedoch die Eintragung im FAER nach § 28 StVG (OLG Hamm DAR 1997, 29 = VRS 92, 345 für Verkehrszentralregister), und zwar auch nicht, wenn die Eintragung zu einer sog. Nachschulung führt (OLG Hamm DAR 1997, 410 = NZV 1997, 495 [Ls.]) oder im Gewerbezentralregister nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO (vgl. Seitz/Bauer in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 18. Aufl. 2021, § 79 Rn 8 m.w.N. [im Folgenden: Göhler/Bearbeiter]). Bei der Verhängung einer Nebenfolge vermögensrechtlicher Art, wie z.B. der Einziehung nach §§ 22 ff. OWiG, ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn das AG in seiner Entscheidung den Wert der vermögensrechtlichen Nebenfolge auf mehr als 250 EUR festgesetzt hat.
- Nichtverurteilung (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG), also im Fall der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, wenn wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als 600 EUR festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.
- Verwerfung des Einspruchs als unzulässig (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 OWiG), wobei es auf die Höhe der im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße und den Wert etwaiger angeordneter Nebenfolgen vermögensrechtlicher Natur nicht ankommt (vgl. Burhoff/Junker, OWi, Rn 3221 ff.). Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG bei Abwesenheit des Betroffenen wird von § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 OWiG nicht erfasst (OLG Düsseldorf NJW 1988, 1682 = VRS 75, 54; NZV 2002, 99 = VRS 101, 215). Auch eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht (OLG Düsseldorf VRS 75, 54; 75, 22). Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde richtet sich in diesen Fällen nach den sonstigen Zulässigkeitsbestimmungen gem. Nr. 1 und 2 (OLG Koblenz VRS 75, 56). Werden die Wertgrenzen nicht erreicht oder ist keine Nebenfolge durch den Bußgeldbescheid festgesetzt worden, muss die Rechtsbeschwerde ggf. nach § 80 OWiG zugelassen werden.
- Unzulässigkeit des schriftlichen Verfahrens (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG), wenn also der Betroffene dem schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG rechtzeitig widersprochen hat, aber dennoch eine Beschlussentscheidung nach § 72 OWiG ergangen ist, wobei es nicht auf die Höhe der festgesetzten Geldbuße und den Wert der etwa angeordneten Nebenfolgen vermögensrechtlicher Natur ankommt (Burhoff/Junker, OWi, Rn 3222 ff.).
III. Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG)
Darüber hinaus ist die Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässig, wenn sie nach § 80 OWiG zugelassen wird. Die mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde zusammenhängenden Fragen haben wegen der 1998 erfolgten Anhebung der Wertgrenzen in § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG (s.o. II.) erheblich an Bedeutung zugenommen (eingehend zur Zulassung Burhoff/Junker, OWi Rn 3238 ff.; Burhoff/Kotz/Junker, Rechtsmittel, Rn 1427 ff.). Eine Zulassungsbeschwerde gegen eine Beschlussentscheidung nach § 72 OWiG gibt es nicht (vgl. BayObLG DAR 1991, 388 m.w.N.; OLG Hamm VRS 50, 59).
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils muss „geboten” sein, d.h. sie muss sich aufdrängen und nicht nur naheliegen. Nach § 80 Abs. 1 OWiG ist die Rechtsbeschwerde ggf. zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (dazu BGHSt 24, 15, 21; OLG Bamberg DAR 2011, 212 = VRR 2011, 83; OLG Hamm DAR 1973, 139; DAR 2010, 99 = VRR 2011, 75; OLG Köln NZV 2010, 270 = NStZ-RR 2010, 88). Von größerer praktischer Bedeutung als die Zulassung zur Fortbildung des Rechts ist die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprech...