1. Wiederaufleben der Diskussion
Die Frage der Rentenversicherungspflicht sog. soloselbstständiger Franchise-Nehmer ist immer wieder in der Diskussion (vgl. Flohr, ZAP F. 6, 393; ZAP F. 6, 457; Flohr, Jahrbuch Franchising 2011, 192 ff.; Flohr, ZVertriebsR 2022, 9 ff.). Allerdings galt diese Diskussion aufgrund der Grundsatzentscheidung des BSG v. 4.11.2009 (Flohr, ZAP F. 6, 457) als abgeschlossen. Durch die Entscheidung des LSG NRW v. 9.2.2022 erlebt diese Diskussion nun eine Renaissance.
2. Sozialrecht und Alltagswirklichkeit in einem Franchise-System
Die Entscheidung des LSG zeigt erneut, wie das Arbeits- aber insb. das Sozialrecht das Franchise-Recht im Allgemeinen, den Inhalt eines Franchise-Vertrags, aber insb. die „Alltagswirklichkeit” innerhalb eines Franchise-Systems beeinflusst (s. zu diesem Einfluss: Flohr, Jahrbuch Franchising 2011, 192 ff.; Flohr, ZVertriebsR 2022, 9 ff.). Dabei müssen allerdings zwei unterschiedliche Problemkreise auseinandergehalten werden; zum einen die Rentenversicherungspflicht eines selbstständigen Solo-Franchise-Nehmers gem. § 2 Nr. 9 SGB VI und zum anderen die allgemeine Rentenversicherungspflicht eines scheinselbstständigen Solo-Franchise-Nehmers mit der Konsequenz zu Leistungen von Beiträgen zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung.
Während bei einer Rentenversicherungspflicht nach § 2 Nr. 9 SGB VI die Feststellung der Selbstständigkeit des Ein-Mann-Franchise-Nehmers Voraussetzung ist und nur dieser Beiträge in die Rentenversicherung zu entrichten hat, setzt die allgemeine Rentenversicherung die Feststellung der Scheinselbstständigkeit des Ein-Mann-Franchise-Nehmers voraus mit der Konsequenz der Beitragsentrichtung in die Sozialversicherung durch Franchise-Geber und Franchise-Nehmer. Während der selbstständige Ein-Mann-(Solo-)Franchise-Nehmer nicht Arbeitnehmer des Franchise-Gebers (eben wegen der Feststellung seiner Selbstständigkeit) ist, ist der scheinselbstständige Ein-Mann-(Solo-)Franchise-Nehmer Arbeitnehmer des Franchise-Gebers mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen (z.B. beim Kündigungsschutz). Bei einem selbstständigen Ein-Mann-(Solo-)Franchise-Nehmer kommt möglicherweise bei Beendigung des Franchise-Vertrags ein Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB (bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen) in Betracht. Dieser scheidet bei einem scheinselbstständigen Ein-Mann-(Solo-)Franchise-Nehmer aufgrund seiner Arbeitnehmerstellung aus.
3. Unternehmerische Selbstständigkeit eines soloselbstständigen Franchise-Nehmers
Damit die unternehmerische Selbstständigkeit eines Ein-Mann-(Solo-)Franchise-Nehmers feststeht, ist es wichtig, dass dieser nicht als abhängig Tätiger i.S.d. Eismann-Beschlüsse des BAG v. 16.7.1997 (WiB 1997, 1197) bzw. des BGH v. 4.11.1998 (ZIP 1998, 2104) eingestuft werden kann (s. dazu Flohr, Franchise-Vertrag, 4. Aufl. 2010, 79 ff. m.w.N.). Für diese beiden Beschlüsse gelten nach wie vor die Leitsätze, die das BAG seinem Beschl. v. 16.7.1997 vorangestellt hat. Seinerzeit begründete der BGH dies unter Ablehnung der entgegenstehenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (ZIP 1998, 1039; s. auch Bumiller, NJW 1998, 2953) damit, dass der Franchise-Nehmer nach dem abgeschlossenen Franchise-Vertrag verpflichtet gewesen sei, (1) seine Arbeitskraft ausschließlich für Eismann als Franchise-Geber einzusetzen, sodass keine Möglichkeit anderweitiger Einkünfte bestand, (2) die Verkaufstätigkeit von vornherein darauf angelegt war, die Arbeitszeit vollständig in Anspruch zu nehmen, (3) unter bestimmten Voraussetzungen Eismann als Franchise-Geber gestattet war, Kunden im Vertragsgebiet des Franchise-Nehmers, die dieser nicht beliefern konnte oder wollte, selbst zu beliefern, (4) keine Angestellten beschäftigt wurden, die für den Franchise-Nehmer die Verkaufstätigkeit übernahmen, (5) und durch das sog. Eismann-Handbuch die Verkaufstätigkeit durch verbindliche Vorgaben geprägt war, angefangen von der Gebietserschließung über die Tourenplanung bis hin zur Beladung des Fahrzeugs und zur Gestaltung des Verkaufsgesprächs.
Diese Grundsätze haben sich mittlerweile im Zivil- und Arbeitsrecht durchgesetzt, insb. vor dem Hintergrund des Beschlusses des BGH v. 16.10.2002 (NJW-RR 2003, 277 – VOM FASS). Danach beurteilt sich die Selbstständigkeit eines Franchise-Nehmers grds. nach § 84 I HGB (s. dazu grds. Flohr, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Aufl. 2016, § 30 Rn 288–314; Billing, in: Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2018, § 84 HGB Rn 81 ff., beide jeweils m.w.N.). Unter Anknüpfung an die Entscheidung des BSG v. 4.11.2009 (P 12 R 3/08 R, BSGE 105, 46 = SGb 2001, 44 mit Anm. Flohr, Jahrbuch Franchising 2011, 192, 196 ff.; Flohr, ZAP F. 6, 457; Flohr ZAP F. 6, 465) geht das LSG NRW davon aus, dass in der Person eines soloselbstständigen Franchise-Nehmer die Voraussetzungen des § 2 Nr. 9 SGB VI erfüllt sind. Dieser sei zum einen als selbstständiger Unternehmer tätig und beschäftigte zum anderen keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Insofern seien dann genau in der Person des soloselbstständigen Franchise-Nehmers die Voraussetzungen gegeben, die i.R.d. Gesetzgebung bei Erlass des § 2 Nr. 9 SG...