1. Zutreffende Entscheidung
Bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt handelt es sich sicherlich um eine Konstellation, die in der Praxis nicht so selten ist. Die daraus entstehenden Fragen hat das AG überzeugend gelöst. Denn es ist davon auszugehen, dass sich die Parteien am 5.9.2022 über die Vergütungsfrage gerade noch nicht abschließend geeinigt hatten, da die Vereinbarung eines Pauschalhonorars noch offen/vorbehalten blieb. Damit liegt kein einheitlich unter Fernabsatzmitteln geschlossener Vertrag mit der Widerrufsmöglichkeit nach den Regeln des Fernabsatzrechts vor. Geht man hingegen von der der Ansicht der Beklagten – also Vertragsschluss am 5.9.2022 aus –, dann ist die Vergütungsvereinbarung ein davon unabhängiger Vertrag, der dann auch eigenen Regeln folgt, und zwar nicht auch denen des Fernabsatzrechts. Ein Widerruf scheidet dann aus. Letztlich hat das AG Recht: Die Zahlungsverpflichtung der Beklagten bestand (auf jeden Fall).
2. Geltung der Regeln des Fernabsatzes
Der Rechtsanwalt sollte bei Abschluss eines Anwaltsvertrags (mit Vergütungsvereinbarung) insbesondere auch die (Neu-)Regelungen des Fernabsatzes und des Verbraucherschutzes (§§ 312b, 312g BGB) beachten (zur Belehrungspflicht EuGH, Urt. v. 17.5.2023 – C-97/22, ZAP 2023, 520). Das gilt vor allem dann, wenn die Vergütungsvereinbarung z.B. per E-Mail oder außerhalb der Geschäftsräume des Rechtsanwalts (z.B. als Verteidiger in der JVA) abgeschlossen worden ist/wird. Ob auf Anwaltsverträge die Regelungen der §§ 312b, 312g, 355, 356, 357a BGB, Art. 246a, 246b EGBGB anwendbar sind, ist zwar nicht unbestritten. In der Rechtsprechung der LG und AG ist das z.T. verneint worden (vgl. LG Bochum, RVGreport 2017, 91 = AGS 2017, 370 für §§ 355, 312 BGB a.F.; AG Charlottenburg, Urt. v. 15.9.2015 – 216 C 194/15, NJW-RR 2016, 184 = AnwBl 2015, 495 für das FernabsatzG), der BGH hat das aber auf der Grundlage seiner Rechtsprechung zum Maklerrecht (BGH, Urt. v. 7.7.2016 – I ZR 30/15, NJW 2017, 1024 = MDR 2017, 200) anders gesehen (BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZAP 2018, 145 = NJW 2018, 690 = AGS 2018, 105; BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, ZAP 2021, 21 = AGS 2021, 90 = NJW 2021, 304 = MDR 2021, 89). Er geht davon aus, dass Anwaltsverträge den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden können (s.a. AG Brandenburg, RVGreport 2018, 119; AG Düsseldorf, Urt. v. 16.11.2016 – 24 C 303/15, AnwBl 2017, 92; AG Kleve, Urt. v. 18.5.2017 – 35 C 434/16; AG Offenbach, Urt. v. 9.10.2013 – 380 C 45/13; aus der Literatur Ernst, NJW 2014, 817; Bräuer, AnwBl 2015, 970; El-Auwad, AnwBl 2017, 971; Kilian, AnwBl 2018, 224; Heuchemer, JurBüro 2020, 283, 286; zum Vertragsschluss in der JVA und zum Widerruf noch LG Bochum, a.a.O.). Das muss für den Rechtsanwalt auf jeden Fall Anlass sein, vorsorglich die sich aus den gesetzlichen Regelungen ergebenden Pflichten zu erfüllen (auch Härting, NJW 2016, 2937 f.). Das bedeutet, dass ihn u.a. Informationspflichten und auch die Pflicht zur Widerrufsbelehrung treffen (dazu Härting, a.a.O., mit einem Muster für eine Widerrufsbelehrung; eingehend zum Widerruf El-Auwad, AnwBl 2017, 971). Voraussetzung ist aber ggf., dass die Regelungen der §§ 312b, 312g BGB anwendbar sind, es sich also bei dem Mandanten nicht um einen Unternehmer handelt (Härting, a.a.O.).
3. Vertriebs- oder Dienstleistungssystem
Für die Anwendung des Fernabsatzrechts reicht aber nicht allein ein z.B. per E-Mail zustande gekommener Anwaltsvertrag aus (BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZAP 2018, 145 = NJW 2018, 690 = AGS 2018, 105; BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, ZAP 2021, 21 = NJW 2021, 304 = MDR 2021, 89; so auch schon BGH, Urt. v. 7.7.2016 – I ZR 68/15, NJW 2017, 1024 = MDR 2017, 207). Denn ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz vorhält. „Gefährlich” aber sind die Fälle der Mandatsakquise und Vertragsschluss ohne persönlichen Kontakt mittels Fernkommunikationsmittel (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, ZAP 2021, 21 = NJW 2021, 304 = MDR 2021, 89 = AGS 2021, 90; AG Brandenburg, RVGreport 2018, 119; AG Offenbach, Urt. v. 9.10.2013 – 380 C 45/13), also z.B. auf Plattformen zur Akquisition von Mandaten in Verkehrs(straf)sachen oder in Filesharing.
Von praktischer Bedeutung ist in dem Zusammenhang auch die Entscheidung des AG Düsseldorf, Urt. v. 10.1.2023 (37 C 124/22, AGS 2023, 184). Das hatte sich mit der Frage des Abschlusses eines Anwaltsvertrages über einen Bestellbutton „Bußgeld jetzt abwehren” zu befassen. Das AG hat den Abschluss eines Vertrags verneint. Ein Rechtsanwalt, der seine Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbietet, genügt danach den Anforderungen gem. § 312j Abs. 3 S. 2 BGB nicht, wenn er den Button (Schaltfläche), über den der Vertragsschluss erfolgt, allein mit den Worten „Bußgeld jetzt abwehren” beschriftet. Der Ausschluss gem. § 312j Abs. 5 S. 1 BGB greift nicht, wenn vorhergehende Kommunikat...