Mit der Selbstanzeige wird die bislang unrichtige Steuererklärung berichtigt ("Materiallieferung"; Spatscheck DB 2013, 1073). Da die Angaben dabei grundsätzlich denselben Anforderungen genügen müssen, denen der Steuerpflichtige bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Steuererklärungspflichten schon früher hätte entsprechen müssen, ist grundsätzlich die ordnungsgemäße Erklärung Maßstab für den Umfang und Inhalt der Nacherklärungspflicht (LG Stuttgart, Urt. v. 21.8.1989 – 10 Kls 137/88, wistra 1990, 72; Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 371 Rn. 50). Dem Finanzamt sind dabei die verwirklichten Besteuerungsgrundlagen nach Art und Umfang so darzulegen, dass es den Sachverhalt ohne weitere größere Nachforschungen aufklären und die Steuer berechnen kann (BGH, Urt. v. 5.5.2005 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 = wistra 2004, 309). In der Praxis ist es daher sinnvoll, die Selbstanzeige so zu gestalten, dass die Finanzbehörden sofort Steuerbescheide erlassen können. Dies setzt zwingend die Angabe von Zahlen pro Steuerart und Veranlagungsjahr voraus.
Seit dem 1.1.2015 müssen die Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen (Vollständigkeitsgebot und Mindestberichtigungszeitraum, § 371 Abs. 1 S. 2 AO). Mit der starren fiktiven zehnjährigen Mindestfrist, wird die Nacherklärungspflicht von der Frage der Strafverfolgungsverjährung entkoppelt (BT-Drucks. 18/3438, S. 6; Habammer/Pflaum DStR 2014, 2267; Schwartz PStR 2015, 37). Daher sind seit dem 1.1.2015 auch etwaige strafrechtlich bereits verjährte Steuerstraftaten (einfache Steuerhinterziehung mit fünfjähriger Verjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) – soweit sie in die zehnjährige Frist fallen – in die Selbstanzeigeerklärung aufzunehmen, um dem Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 S. 2 AO nebst Mindestnacherklärungszeitraum zu genügen. Ausgangspunkt für die Berechnung der fiktiven Frist ist die Abgabe der Selbstanzeige (Habammer/Pflaum DStR 2014, 2267; Zipfel/Holzner BB 2014, 2459; BT-Drucks. 18/3018, S. 11). Auch wenn § 371 AO auf "Kalenderjahre" abstellt, ist die Frist wohl Tag genau zu bemessen (a.A. Joecks DStR 2014, 2261; Habammer/Pflaum DStR 2014, 2267; Schwartz PStR 2015, 37 abgeschlossene/volle Kalenderjahre). Unklar ist, ob der Versuchs-, Vollendungs- oder Beendigungszeitpunkt der Steuerhinterziehungen für den Einbezug in die Zehnjahresfrist entscheidend ist (Habammer/Pflaum DStR 2014, 2267). Da nach dem Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 1 S. 2 AO "alle" Steuerstraftaten in Bezug genommen werden und die Selbstanzeige als Ausnahmevorschrift streng zu handhaben ist, ist jeweils die weitest gehende Sichtweise anzulegen. Beim Fristanfang (z.B. 29.6.2005) sind daher alle Steuerstraftaten erfasst, deren Beendigungszeitpunkt (spätester Zeitpunkt einer Steuerhinterziehung) in die Frist fällt (Habammer/Pflaum DStR 2014, 2267), beim Fristende (z.B. 29.6.2015) sind alle vor Fristablauf bereits versuchten Steuerhinterziehungen (frühester Zeitpunkt einer Steuerhinterziehung) ebenfalls von der Frist erfasst und mit nachzuerklären.
Eine gesetzliche Definition des Begriffs "Steuerart" liefert § 371 Abs. 1 AO nicht. Da in den älteren Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 5068 [neu], S. 21) zwischen Einkommen- und Umsatzsteuer differenziert wird, ist grundsätzlich auf das Vorliegen verschiedener formaler Steuergesetze abzustellen (Rolletschke/Roth Stbg 2011, 200; Hechtner NWB 2011, 1044). Über diesen Grundsatz hinaus, ist jedoch unklar, wann eine Steuerart i.S.d. § 371 AO anzunehmen ist (für das Zusammentreffen von Täterschaft und Teilnahme etwa bei der Einkommensteuer Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 193; Rolletschke/Roth Stbg 2011, 200; a.A. Klein, AO, 12. Aufl., § 371 Rn. 18d; für den Fall unterschiedlicher Erhebungsformen etwa der Einkommensteuer als Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer etc. Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf wistra 2011, 281; Spatscheck DB 2013, 1073; a.A. Klein, AO, 12. Aufl., § 371 Rn. 18d; zum Verhältnis von Einkommensteuer-Feststellungs- bzw. -Festsetzungserklärung Klein, AO, 12. Aufl., § 371 Rn. 18d; a.A. Rolletschke, Steuerstrafrecht 4. Aufl. 2012, Rn. 562).
Ist der Selbstanzeigeerstatter nicht in der Lage, die Besteuerungsgrundlagen anhand von Unterlagen genau zu ermitteln, kann er sich einer Schätzung bedienen (BGH, Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; Klein, AO, 12. Aufl., § 371 Rn. 21). Verfahrenstechnisch wird zulässigerweise so vorgegangen, dass zunächst eine Selbstanzeige mit geschätztem Zahlenwerk abgegeben wird (1. Stufe) und anschließend – nach Eingang der fehlenden Unterlagen – eine Präzisierung der Daten erfolgt (2. Stufe). Eine solche Stufenselbstanzeige ist auch nach der Neuregelung des § 371 AO zulässig (BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = wistra 2010, 304; Spatschek DB 2013, 1073). Hier sind jedoch immer Zahlenangaben pro Steuerart und Veranlagungszeitraum zu schätzen und anzugeb...