Eine "sichere Bank" für die Revision des Angeklagten ist das Verfahren der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung (§ 247 StPO). Das beweist die doch recht große Anzahl von erfolgreichen Revisionen beim BGH, die die damit zusammenhängenden Fragen zum Gegenstand haben. Die "Fehleranfälligkeit" des Verfahrens bei den Tatgerichten überrascht insofern, weil eben der BGH immer wieder zu den Fragen Stellung genommen hat (vgl. u.a. zuletzt z.B. BGH NStZ 2014, 532 = StRR 2014, 341). Auch der große Senat des BGH für Strafsachen hat sich ja schon mit der Vorschrift beschäftigen müssen (s. BGHSt 55, 87). Es ist erstaunlich, dass das, was der BGH zu der Vorschrift/dem Verfahren "anzumerken" hat, bei den Instanzgerichten offenbar nicht ankommt. Das beweist dann auch mal wieder der BGH (Beschl. v. 23.9.2014 – 4 StR 302/14, StRR 2015, 25), mit einer – schon fast üblichen – Konstellation:
In einem Verfahren wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes wurde der Angeklagte in der Hauptverhandlung für die Dauer der zeugenschaftlichen Vernehmung der Nebenklägerin durch Beschluss der Strafkammer gem. § 247 StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt. Nach ihrer Aussage blieb die Zeugin auf Anordnung des Vorsitzenden unvereidigt und wurde entlassen. Nachdem der Angeklagte daraufhin den Sitzungssaal wieder betreten hatte, informierte ihn der Vorsitzende über den wesentlichen Inhalt der Aussage der Nebenklägerin. Der Verteidiger des Angeklagten teilte dem Gericht nach kurzer Unterbrechung und Beratung mit seinem Mandanten mit, es gebe noch drei Ergänzungsfragen. Für die ergänzende Vernehmung wurde der Angeklagte erneut nach § 247 StPO von der Teilnahme an der Vernehmung ausgeschlossen. Abermals blieb die Zeugin unvereidigt und wurde entlassen. Erst danach betrat der Angeklagte wieder den Sitzungssaal. Der Angeklagte hat mit der Verfahrensrüge einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht.
Der BGH (StRR 2015, 25) hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Der Angeklagte sei entgegen § 247 StPO auch von der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin nach deren zweiter Vernehmung ausgeschlossen gewesen. Dies begründe den Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, denn die Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin war, auch wenn es sich um eine ergänzende Vernehmung handelte, ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sei die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 S. 1 oder S. 2 StPO entfernten Angeklagten also regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen (BGHSt 55, 87, 92). Die das Anwesenheitsrecht und die Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezweckten u.a., dem Angeklagten eine uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere aufgrund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung. Das werde ihm durch seinen Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung der Zeugin erschwert, weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen könne, die den Verfahrensausgang beeinflussen können. Bei dem Vorwurf von Sexualstraftaten liege es nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Vernehmung der Opferzeugin kommt, weil Fragen zum Randgeschehen noch geklärt werden müssen. Gemessen daran komme auch der ergänzenden Vernehmung einer Opferzeugin grundsätzlich erhebliche Bedeutung für das Verfahren zu.
Hinweis:
Der (erfolgreiche) Weg zur Aufhebung führt in diesen Fällen über die Verfahrensrüge, für die § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gilt. Der erfordert in diesem Fall nach der Rechtsprechung des BGH zwar keine Ausführungen zum Inhalt der zweiten Vernehmung, um darzulegen, dass es sich auch bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach ihrer zweiten Vernehmung um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt hat (BGH NStZ 2014, 532, 533 = StRR 2014, 341). Der Verteidiger sollte aber dazu ggf. rein vorsorglich Ausführungen machen, um an der Stelle von vornherein ein "Einfallstor" für die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zu vermeiden.