Das OLG Naumburg ist in einem Beschl. v. 4.12.2013 (2 Ss 151/13, StRR 2014, 70 m. abl. Anm. Wenske NStZ 2014, 117 f.) davon ausgegangen, dass eine Verständigung nach § 257c StPO i.d.R. geeignet ist, die Schwierigkeit der Rechtslage i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO zu begründen und hatte deshalb die Bestellung eines Pflichtverteidigers als erforderlich angesehen. Dem hat jetzt das OLG Bamberg im Beschl. v. 3.12.2014 (1 Ws 622/14, StraFo 2015, 67) widersprochen. In dem vom OLG Bamberg entschiedenen Fall war die in der Hauptverhandlung durch ihren Wahlverteidiger vertretene Angeklagte vom AG wegen Untreue in mehreren Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden. Dem Urteil war eine Verständigung i.S.d. § 257c StPO vorausgegangen, deren Bestandteil u.a. das Geständnis der Angeklagten war. Gegen das erstinstanzliche Urteil legten sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, diese beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein. Die Angeklagte wendet sich mit ihrer Berufung nicht nur gegen die Strafhöhe, sondern auch gegen den Schuldspruch. Nachdem die Angeklagte das Mandat ihres Wahlverteidigers gekündigt hat, hat sie dann bei der Berufungskammer beantragt, ihr einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Vorsitzende der Berufungskammer hat dies abgelehnt.
Die Beschwerde der Angeklagten hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des OLG Bamberg (StraFo 2015, 67) liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung insbesondere nicht allein deshalb vor, weil dem amtsgerichtlichen Urteil eine Verständigung gem. § 257c StPO zugrunde gelegen hat. Das OLG folgt insoweit nicht der Auffassung des OLG Naumburg (StRR 2014, 70). Eine Rechtslage sei – so das OLG Bamberg (a.a.O.) – dann schwierig i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO, wenn bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen, oder wenn die Subsumtion im Einzelfall problematisch sei. Zutreffend weist Peglau (jurisPR-StrafR 6/2014 Anm. 2) darauf hin, dass der gesamte Strafprozess grundsätzlich fehleranfällig sei. Dieser Fehleranfälligkeit habe der Gesetzgeber bei der Verständigung u.a. mit der Regelung des § 302 Abs. 1 S. 2 StPO ausdrücklich Rechnung getragen. Der Gesetzgeber gehe i.Ü. davon aus, dass es Fälle gebe, in denen der Angeklagte auch im Rahmen eines Verständigungsprozesses keiner Verteidigung bedürfe. So heiße es in den Materialien (BT-Drucks. 16/12310, S. 2): "Der Gesetzesentwurf unterscheidet bewusst nicht zwischen verteidigtem und unverteidigtem Angeklagten und schließt auch amtsgerichtliche Verfahren nicht von den Vorschriften über die Verständigung aus". Auch sei die Regelung des § 257c Abs. 3 S. 4 StPO so zugeschnitten, dass es – jedenfalls beim Zustandekommen der Verständigung – der Mitwirkung eines Verteidigers überhaupt nicht bedürfe. Mit dieser Grundstruktur der gesetzlichen Regelungen sei die generelle Entscheidung des OLG Naumburg (a.a.O.) kaum vereinbar. Denn das Gesetz sehe ausführliche und qualifizierte Belehrungen im Verfahren über eine Verständigung vor (§ 257c Abs. 5 StPO). Deshalb sei nicht das Vorliegen einer Verständigung per se, sondern nur die Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls geeignet, die Notwendigkeit der Mitwirkung eines Verteidigers zu begründen.
Hinweis:
Mit der Entscheidung ist damit in der Rechtsprechung die Diskussion über die regelmäßige Beiordnung eines Pflichtverteidigers eröffnet. Die vom OLG Bamberg für seine ablehnende Auffassung gegebene Begründung ist m.E. nicht ausreichend. Der Hinweis auf die Materialien (BT-Drucks. 16/12310, S. 2) reicht nicht, da die angeführte Stelle nur allgemein zur Verständigung Stellung nimmt, die Fragen der Pflichtverteidigung aber im Gesetzesentwurf nicht behandelt werden. Daraus kann man nun – wenn man will – den Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber, eine Verständigung eben nicht automatisch als einen Fall der Pflichtverteidigung angesehen hat. Andererseits wird man nicht verkennen können/dürfen, dass die mit der Verständigung zusammenhängenden Fragen für den Laien kaum noch überschaubar sind. Und das dürfte vor allem in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, wenn der Angeklagte von einer erstinstanzlichen Verständigung abrücken will. Da hilft dann auch nicht der Hinweis auf § 257c Abs. 5 StPO und die dort normierte Belehrungspflicht. Angesichts der zahlreichen Entscheidungen des BGH zu Fehlern bei bzw. nicht ausreichenden Belehrungen (vgl. dazu Krawczyk/Schüler StRR 2014, 284 und Deutscher StRR 2014, 288) ist das nur ein Scheinargument.