Von ggf. weit reichender Bedeutung ist eine Verfügung des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH (Verf. v. 25.9.2014 – 2 StR 163/14, NJW 2014, 3527 = StRR 2015, 25; zur Aufnahme in BGHSt vorgesehen). In der Verfügung hat der Vorsitzende zur Notwendigkeit der Teilnahme eines Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung Stellung genommen. In der Revisionshauptverhandlung war für den abwesenden Angeklagten dessen Wahlverteidiger nicht erschienen. Dieser hatte am Tag zuvor schriftlich mitgeteilt, dass er zur Hauptverhandlung nicht anreisen werde. Der Senat hat daraufhin die Hauptverhandlung über die Revisionen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt, weil der Angeklagte nicht verteidigt war. Für die neu anberaumte Revisionshauptverhandlung hat der Senatsvorsitzende den bisherigen Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt.
Zur Begründung wird darauf verwiesen (vgl. BGH a.a.O.), dass es zwar nach § 350 Abs. 1 S. 1 StPO zulässig sei, die Revisionsverhandlung ohne den gewählten Verteidiger des Angeklagten durchzuführen. Auch sei die Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen inhaftierten Angeklagten ohne dessen Antrag nur erforderlich, wenn ein "schwerwiegender Fall" vorliege oder die Rechtslage besonders schwierig sei. Diese Praxis wird gerügt. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK, der vorsehe, dass der Angeklagte das Recht habe, sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Wahlverteidiger vertreten zu lassen oder, soweit die finanziellen Voraussetzungen gegeben seien und die Rechtspflege es erfordere, einen Pflichtverteidiger gestellt zu bekommen, sei mit der komplett fehlenden Verteidigung im Revisionshauptverhandlung nicht in Einklang zu bringen. Denn am Ende jeder Revisionshauptverhandlung könne eine den Angeklagten beschwerende Entscheidung ergehen. Wenn der Angeklagte, was regelmäßig der Fall sei, selbst keine Möglichkeit habe, sich hier zu verteidigen und auch der Wahlverteidiger abwesend sei, stehe der Angeklagte in der letzten und bei Urteilen der Großen Strafkammern der LG bzw. erstinstanzlichen Strafurteilen der OLG auch einzigen Rechtsmittelinstanz gänzlich ohne Verteidigung und damit ohne rechtliches Gehör da. Dies gelte in erster Linie für Revisionen der Staatsanwaltschaft oder Nebenkläger, jedoch auch für Revisionen des Angeklagten selbst.
Hinweis:
Damit liegt eine weitere Entscheidung aus dem 2. Strafsenat, der sich unter seinem neuen Vorsitzenden zu einem "Unruhestifter", wenn nicht sogar zu einem "Rebellensenat" zu entwickeln scheint, vor. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die übrigen Strafsenate des BGH dieser angeklagtenfreundlichen Linie folgen.
Die Entscheidung hat m.E. auch Auswirkungen auf die Pflichtverteidigung in der Revisionshauptverhandlung bei den OLG. Zwar steht dem Angeklagten hier i.d.R. eine zweite Tatsacheninstanz zur Verfügung, in der er sich in vielen Fällen häufig selbst verteidigen (können) wird. Allerdings dürfte das für die Revisionshauptverhandlung beim OLG kaum der der Fall sein. In den Fällen wird also die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nun auf jeden Fall in Betracht zu ziehen sein.