Zum Jahresbeginn ist eine Reform zur BRAO in Kraft getreten, die Bewegung in ein Feld bringt, welches vom Gesetzgeber 20 Jahre lang nur mit spitzen Fingern angefasst worden wäre, hätte er sich mit ihm überhaupt befassen müssen. Erstaunlich war und ist der Anlass: Es war das Bundessozialgericht, welches den Anstoß hierzu gab. BRAO und Berufsrecht sind Domänen, die normalerweise Berufsrechtler, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechtler, auch schon einmal Verwaltungsrechtler interessieren – aber Sozialrecht?

Aber es ist eben das Dasein, welches das Bewusstsein bildet. Und das Dasein konkretisiert sich heute auch in der Sorge um die Altersversorgung: Ganze Heerscharen wollten lieber in den Versorgungswerken als bei der Deutschen Rentenversicherung versichert sein. Das hatte ihnen das Bundessozialgericht mit dem Argument verwehrt, sie seien in Wirklichkeit gar keine Rechtsanwälte. Die Sache hat sich nicht zuletzt deswegen sehr schnell bewegt, weil das Bundessozialgericht die Freiberufler im Anstellungsverhältnis schützen wollte – und nicht klar gesagt hat, wovor sie geschützt werden sollten.

Die BSG-Urteile ergingen am 3.4.2014. Die Deutsche Rentenversicherung brauchte für ihre Umsetzung bis zum 12.12.2014. Und nach Lösung aus der Schockstarre machten sich die beteiligten Verbände und die Akteure in Berufs- und Sozialpolitik im Frühjahr 2015 an die Arbeit, der Bundestag beriet schon im Juli und wenige Tage vor Weihnachten war alles fertig. Was dann am 30.12. im Gesetzblatt stand, konnte am Neujahrsmorgen in Kraft treten.

Herausgekommen ist eine erstaunliche Mischung aus genial Neuem, chaotisch Ungeordnetem und phantastisch Inkompatiblem. Feuer und Wasser werden vermischt: Sozialrecht und Berufsrecht sollen unter einen Hut gebracht werden. Da zeigt sich sogleich, wie die eigentlichen Machtverhältnisse sind und wo der Hammer hängt: Das Berufsrecht muss weit greifen, damit das Sozialrecht auch nur einen Millimeter nachgibt. Daher brachte die gewaltige Bewegung nur eine "kleine Lösung" zustande. Die ersten Fälle und vier Wochen Verwaltungspraxis zeigen bereits, dass die verursachte Hochstimmung nicht nur im Morast des Kleinbürokratischen sich wird sehr bewähren müssen. Wer betroffen ist, darf jetzt gleich drei Anträge stellen, auf verschiedenen Formularen bei drei verschiedenen Adressaten, versehen mit Unterlagen, die teilweise im Original vorgelegt werden müssen – bei Institutionen, die mit dem neuen Verfahren über keinerlei Erfahrung verfügen und erst einmal selbst üben müssen. Und vor allem: Der jeweilige Arbeitgeber muss verstehen lernen, dass er einen leibhaftigen und echten Anwalt beschäftigt, der fachlich ganz unabhängig von seinen Weisungen ist. Aber das sind – so kann man hoffen – für einen gestandenen Anwalt Kleinigkeiten, die er nun bis zum Freitag nach Ostern abgeschlossen haben muss.

Bewähren muss sich vor allem die Anwaltschaft als Ganzes:

Die Wirtschaft braucht Syndizi; und sie sind schon immer Bestandteil und oft auch Zierde der Anwaltschaft gewesen. Sie werden nun durch eine klare Regelung in dem bisher sehr wortkargen § 46 BRAO aufgewertet. Also wird auch der niedergelassene Anwalt, der die Einrichtung des Syndikus bisher mitunter eher unter dem Gesichtspunkt des Futterneides sieht, Erwägungen über Sinn und Zweck dieser Einrichtung anstellen müssen. Halten wir nicht auch angestellte Anwälte in Kanzleien für Anwälte? Also ist doch das Anstellungsverhältnis nicht per se ein Gegensatz zum Anwalt. Arbeitsrechtliches Direktionsrecht – welches natürlich auch für die Syndizi gilt – und fachliche Weisungsfreiheit sind nun einmal zwei völlig verschiedene Kategorien, welche sich entgegen landläufiger Meinung durchaus nicht in den Weg kommen müssen. Ohnehin gilt: Befohlener Rechtsrat ist nichts wert! Am besten fährt das Unternehmen, wenn der angestellte Anwalt unverblümt seine rechtlich fundierte Meinung anbringen kann. Nicht ohne Grund ist Compliance eine Domäne der Anwälte; wie sollte sie ohne Syndizi wirklich zum Tragen kommen können? Also: Die Anerkennung des Syndikus ist nicht ein Schwächung, sondern eine nachdrückliche Stärkung der Anwaltschaft – auch zum Nutzen der selbstständigen Anwälte.

Aber auch die Syndizi müssen dazulernen. Sie können nicht mehr, wie bisher zuweilen, die Trittbrettfahrer der Anwaltschaft sein. Entweder sind sie richtige Anwälte, oder sie sind es nicht – die Anwaltschaft ist kein Rosinenkuchen. Das heißt auch für sie: Beachtung der Berufsregeln so, wie wir Selbstständigen das auch tun müssen, Achtung vor der fachlichen Unabhängigkeit und der Verschwiegenheit. Vornehmes oder gar distanziertes Beiseitestehen kommt nicht mehr in Betracht. Bloße "Titularanwälte" sollten der Vergangenheit angehören.

Einfach wird das alles nicht. Zuerst wird sich die Mischung von Feuer und Wasser bewähren, wenn im Verfahren beim Anwaltsgerichtshof sozialrechtliche Anschauungen der Prozessvertreter der Deutschen Rentenversicherung und anwaltliches Bewusstsein von Kammern und Antragstellern aufeinandertreffen. Auf ...

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