aa) Überblick
Hat der Mandant seinen Sitz oder Wohnsitz im Gerichtsbezirk, beauftragt er aber einen Anwalt, der seine Kanzlei nicht im Gerichtsbezirk unterhält und dort auch nicht wohnt, so greift die Rechtsprechung des BGH zum Anwalt am Sitz der Partei (s.o. b) nicht. Es ist jetzt eine weitergehende Notwendigkeitsprüfung durchzuführen (§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO). Die Rechtsprechung nimmt hier nur in besonderen Fällen eine Erstattungsfähigkeit an, etwa dann, wenn zu dem auswärtigen Anwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder es sich um einen besonderen Spezialisten handelt, und ein solcher im Gerichtsbezirk nicht zu finden ist.
bb) Notwendigkeit wird bejaht
War die Hinzuziehung des auswärtigen Anwalts notwendig, so sind dessen Reisekosten in voller Höhe zu erstatten.
cc) Notwendigkeit wird verneint
Ergibt die Prüfung, dass die Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts nicht notwendig war, führt dies nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung allerdings nicht zum völligen Ausschluss der Kostenerstattung. Vielmehr sind die Kosten dieses Anwalts dann zu erstatten bis zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts. Dabei ist auf die höchstmögliche Entfernung abzustellen, also auf den vom Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks. Ob dort tatsächlich ein Anwalt ansässig ist, ist unerheblich (AG Kiel AGS 2014, 8 = NJW-RR 2013, 892 = JurBüro 2013, 591; AG Marbach am Neckar AGS 2014, 210 = Rpfleger 2014, 289 = NJW-Spezial 2014, 348; LG Düsseldorf AGS 2015, 7 = NJW 2015, 498 m. Anm. Schons = AnwBl 2015, 351 = MDR 2015, 427 = Rpfleger 2015, 369 = JurBüro 2015, 255 = ErbR 2015, 135 = RVGprof. 2015, 76; OLG Schleswig AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2015, 385; OLG Köln AGS 2016, 53).
Lediglich das OLG Celle (AGS 2015, 442 m. Anm. N. Schneider = NJW 2015, 2670 = RVGreport 2015, 386) ist anderer Auffassung und beruft sich dabei auf eine Entscheidung des BGH (NJW-RR 2012, 698 = JurBüro 2012, 368 = Rpfleger 2012, 468 = RVGreport 2012, 268), der diese Rechtsfrage allerdings nicht entschieden hatte (s.a. OLG Schleswig AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2015, 385 und OLG Köln AGS 2016, 53). Als Rechtsbeschwerdegericht war der BGH nur dazu berufen, die angefochtene Entscheidung im Rahmen der Rechtsbeschwerdebegründung zu überprüfen. Im zugrunde liegenden Verfahren war aber mit der Rechtsbeschwerde nur die Frage der Notwendigkeit zur Entscheidung gestellt worden, nicht die Frage des Umfangs. Abgesehen davon waren zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks keine Tatsachen vorgetragen worden, so dass der BGH als reines Rechtsbeschwerdegericht hier ohnehin keine Feststellungen hätte treffen können.
Die zutreffende Rechtsprechung – insbesondere LG Düsseldorf, OLG Schleswig und OLG Köln – weist zu Recht darauf hin, dass anderenfalls in mehrfacher Hinsicht eine Ungleichbehandlung erfolge. So ist es in der Tat nicht nachzuvollziehen, dass ein Anwalt, dessen Kanzlei 100 km vom Gericht entfernt – aber noch im Gerichtsbezirk – liegt, die volle Reisekostenerstattung erhält, während ein Anwalt, der seine Kanzlei nur 20 km vom Gericht entfernt hat, bei der Kostenerstattung ausgeschlossen wäre, weil seine Kanzlei nicht im Gerichtsbezirk liegt. Es ist zudem ein allgemeiner Grundsatz, dass nicht notwendige Kosten stets insoweit zu erstatten sind, als dadurch fiktive notwendige Kosten erspart worden sind. Darüber hinaus würde sich eine Ungleichbehandlung zu den Fällen der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe ergeben (s.u. XVI.).
Beispiel 6:
Der Anwalt hat seine Kanzlei in Köln und wird von einer in Düsseldorf ansässigen Partei mit einem Rechtsstreit vor dem LG Düsseldorf und anschließend mit dem Berufungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf beauftragt.
Die Reisekosten des Kölner Anwalts belaufen sich erst- und zweitinstanzlich jeweils (netto) auf
1. Köln – Düsseldorf und zurück, 2 × 45 km x 0,30 EUR/km |
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27,00 EUR |
2. Tage- und Abwesenheitsgeld bis 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG |
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25,00 EUR |
3. Parkgebühren |
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3,36 EUR |
Gesamt |
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55,36 EUR |
Hätte die Partei erstinstanzlich einen Anwalt aus Korschenbroich beauftragt, das noch zum LG-Bezirk Düsseldorf zählt, wären dessen Reisekosten in voller Höhe erstattungsfähig gewesen.
1. Korschenbroich – Düsseldorf und zurück, 2 × 27 km x 0,30 EUR/km |
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16,20 EUR |
2. Tage- und Abwesenheitsgeld bis 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG |
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25,00 EUR |
3. Parkgebühren |
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3,36 EUR |
Gesamt |
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44,56 EUR |
Folglich sind die Reisekosten des Kölner Anwalts für die erste Instanz bis zur Höhe dieser Kosten erstattungsfähig.
Hätte die Partei vor dem OLG Düsseldorf einen Anwalt aus Emmerich beauftragt, wären Reisekosten angefallen i.H.v.
1. Emmerich – Düsseldorf und zurück, 2 × 103 km x 0,30 EUR/km |
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61,80 EUR |
2. Tage- und Abwesenheitsgeld bis 4 Stunden, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG |
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25,00 EUR |
3. Parkgebühren |
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3,36 EUR |
Gesamt |
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90,16 EUR |
Diese Reisekosten hätten höher gelegen als die Kosten des Kölner Anwalts, so dass für die Berufungsinstanz seine Reisekosten in voller Höhe erstat...