a) Nochmals: Rückwirkende Bestellung
Anlass, um nochmals auf die mit der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger zurückzukommen, ist der Beschluss des LG Saarbrücken vom 14.10.2015 (4 Qs 14/15), in dem es allerdings nicht um die Bestellung des Rechtsanwalts im Erkenntnisverfahren, sondern im Strafvollstreckungsverfahren ging. Das LG hat die Rechtsprechung der Obergerichte zur nachträglichen Beiordnung entsprechend angewendet und geht ebenfalls davon aus, dass eine nachträgliche Bestellung grundsätzlich ausscheidet (vgl. die Nachweise zur Rspr. bei Burhoff, EV, Rn 3043 ff.). Ausnahmsweise wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung ggf. zwar die Beiordnung durch schlüssiges Verhalten als möglich angesehen. Dafür ist aber erforderlich, dass das Verhalten des Vorsitzenden unter Beachtung der sonstigen maßgeblichen Umstände zweifelsfrei den Schluss auf eine Beiordnung rechtfertigt. Anerkannt ist eine solche konkludente Beiordnung in Fällen, in denen der Wahlverteidiger sein Mandat niedergelegt und beantragt hatte, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, eine ausdrückliche Bestellung jedoch unterblieb (vgl. dazu auch OLG Celle, Beschl. v. 4.8.2015 – 2 Ws 111/15, StRR 2015, 461; zu allem ZAP F. 22 R, S. 914 f., 919 f.).
Das LG Saarbrücken (a.a.O.) hat diese Voraussetzungen dann verneint und das damit begründet, dass der Rechtsanwalt schon seine Bestellung nicht beantragt hatte und zudem auch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO (analog) nicht vorgelegen haben (zur Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren Burhoff, EV, Rn 2812).
Hinweis:
Die Entscheidung führt nochmals zu dem Hinweis: Wenn überhaupt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Chance auf eine "nachträgliche Bestellung" bzw. die Annahme einer konkludenten Bestellung besteht, dann nur, wenn der Rechtsanwalt im Laufe des Verfahrens einen Beiordnungsantrag gestellt und an dessen Erledigung ggf. auch erinnert hat.
b) Unterzeichnung der Revisionsbegründung
Pflichtverteidiger aufgepasst – das wird man als Fazit aus dem Beschluss des BGH vom 16.12.2015 (4 StR 473/15) ziehen müssen, mit dem der BGH die Revision eines Angeklagten gegen die Verurteilung u.a. wegen versuchten besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verworfen hat. Verworfen hat der BGH die Revision als unzulässig, weil sie nämlich nicht fristgerecht begründet war (§§ 344, 345 StPO; zur Revisionsbegründung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2016, Rn 2257 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]; Junker in: Burhoff/Kotz [Hrsg.], Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2013, Teil A Rn 2523 ff.). Die Revisionsbegründung war nämlich entgegen § 345 Abs. 2 StPO nicht vom Pflichtverteidiger, sondern (nur) von einem in derselben Kanzlei tätigen Rechtsanwalt unterzeichnet. Auf diesen konnte aber der Pflichtverteidiger des Angeklagten seine Befugnisse nicht wirksam übertragen (vgl. BGH NStZ 2012, 276, 277 m.w.N.; Beschl. v. 7.5.2014 – 4 StR 109/14). Anhaltspunkte dafür, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt als allgemeiner Vertreter des Pflichtverteidigers gem. § 53 Abs. 2 BRAO tätig geworden war, waren auch nicht ersichtlich.
Hinweis:
Eine auf den ersten Blick überraschende Entscheidung. Denn § 345 Abs. 2 StPO verlangt grundsätzlich nur, dass die Revision von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnet wird. Schaut man jedoch in die vom BGH in Bezug genommenen Entscheidungen, muss man wohl davon ausgehen – aus dem Sachverhalt des Beschlusses vom 16.12.2015 ergibt sich das nicht –, dass nicht der Mandant den anderen – unterzeichnenden – Rechtsanwalt mandatiert hatte, sondern der Pflichtverteidiger. Der kann sich aber nicht vertreten lassen.
c) Beschwerderecht des Rechtsanwalts
Und nochmals: Pflichtverteidiger aufgepasst ist auch das Fazit aus dem Beschluss des LG Berlin vom 14.12.2015 (534 Qs 142/15). In dem Verfahren hat das LG – anders als zuvor das AG – die "Unfähigkeit zur Selbstverteidigung" i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht. Begründung war, dass der Beschuldigte unter Betreuung mit dem "Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden" stand und das LG davon ausgegangen ist, dass die Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt und dem Beschuldigten deshalb nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen war. Hinzu kam, dass der Beschuldigte aufgrund eines Morbus Parkinson, der zu einer motorischen Sprachstörung geführt hat, in seiner sprachlichen Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war. Das LG hat ihn deshalb als sprachbehindert i.S.v. § 140 Abs. 2 S. 2 StPO angesehen (zur Beiordnung wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung Burhoff, EV, Rn 2901 ff. m.w.N.).
Aber nicht deshalb "Verteidiger aufgepasst", sondern wegen einer anderen vom LG angesprochenen Frage. Das LG hat sich nämlich auch mit der Zulässigkeit der Beschwerde (des Verteidigers) befasst. Die Staatsanwaltschaft war davon ausgegangen, dass das Rechtsmittel unzulässig ist, weil der Verteidiger die Beschwerde im eigenen Namen eingelegt hatte (vgl. für den nicht beigeordneten Rechtsanwalt: M...